Jeder ernstzunehmende Hafen hat einen Auftrag. Den hat auch der Nartumer Hafen, nur dass sein Auftrag eher ideeller Art ist. Er ist ein Hafen im Geiste seiner Mitglieder, die das maritime Lebensgefühl bis zum Ende durchdeklinieren, ganz ohne Wasser unter dem Kiel der Casanova. Denn ein Schiff, das besitzt der Nartumer Hafen. Es liegt zwar auf dem Trockenen inmitten von Wiesen und Weiden, ist aber ein Schiff. Und es gibt Hafenmeister, Logbuchführer und Deichgrafen und sogar eine Seemannskneipe. Seit Neuestem sogar einen Hafenpastor. Auch sie kommen bestens ohne Wasser aus. Nur Bordsteinschwalben, die fehlen noch.
Klimawandel, Erderwärmung, Polkappenschmelze waren die Themen, die 2006 Uwe Schradick und Frank Cordes bei einem oder mehreren Gläschen guten Weins 80 Kilometer von der Küste entfernt und 37 Meter über NN bewegten, die Rettung Nartums beim Anstieg des Meeresspiegels aktiv anzugehen. Manch einer demonstriert gegen den voranschreitenden Klimawandel, die Mitglieder des Hafenvereins dachten perspektivisch und gingen die durch den Anstieg des Meeresspiegel auf das 782 Seelendorf zukommenden Folgen an. Sie wollten gerüstet sein für den Fall der Fälle, so die Aussage von Hafenmeister Tobias Brunkhorst und Logbuchführer Frank Jagels. Der Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ brachte 2011 eine neue Dynamik in die Ideenschmiede der Nartumer. Während der Rundfahrt der Kommission konnte Bürgermeister Lars Rosebrock und Mitorganisator des Hafenvereins nicht dichthalten. „Wir planen so weit in die Zukunft, dass hier beim Abschmelzen der Polkappen einmal der Nartumer Hafen entstehen soll“, kündigte er vollmundig an. Damit war es heraus und die Ereignisse trieben die Initiatoren vor sich her. 2012 fand die Gründungsversammlung mit 23 Mitgliedern im Nartumer Hof, heute Neptuns Inn, statt. Im Anschluss baute Tobias Schierholz, seines Zeichens zweiter Hafenmeister, in seinem Garten einen acht Meter hohen Leuchtturm und setzte damit ein deutliches Zeichen. Dem Bericht in der Zevener Zeitung folgte ein Medienspektakel. Das forderte die ganzen Männer und sie schufen maritime Fakten. Sie bauten fix für ihren Medienauftritt das Hafengelände mit Deich und Strand. Dann gaben sich Terra Xpress, RTL Nord, Nordwestradio, buten un binnen, NDR „Mein Nachmittag“ und „Das!“ vom NDR die mediale Klinke in die Hand.
Seit Gründung des „Quatschvereins“, der er nun mal ist obwohl die Mitglieder es nicht gerne hören, stieg die Mitgliederzahl auf stolze 117 an. Zum Vergleich, der Schützenverein hat etwa 200 Mitglieder. Im Dorf gibt es einige wenige, die den Verein und seine Idee schwachsinnig finden. „Vor allem Frauen“, erklärte Frank Jagels. Aber die dürfen sowieso nicht Mitglied werden und daher auch keinen Mitgliedsbeitrag zahlen, das ist in den Statuten des Hafenvereins so festgelegt. Denn im Fall der Fälle und einer notwendigen Evakuierung bei Springfluten oder Tsunamis gehören Frauen, Mädchen, Nichtschwimmer und Landratten zu den Erstzurettenden. Und dieses Problem wollen sich die Mitglieder des Hafenvereins auf keinen Fall ans Bein binden. Der Besitzer des Stück Land aber findet sie toll und stellt dem Hafenverein seine Wiese seit Gründung zur Verfügung. 2014 lief die Casanova in den Nartumer Hafen ein, nachdem sie viele Jahre auf einem Bauernhof auf ihren Untergang zurottete. Den Namen hatte sie schon vorher, passt aber zu dem Männerverein ziemlich gut. Noch besteht ihre einzige Aufgabe darin, dekorativ zu sein. Rein theoretisch aber können sich Hafenmeister und Logbuchführer bei Stromanschluss auch die Durchführung der Hafenmeistereisitzungen auf der Casanova vorstellen.
Mit ihren neuen Freunden, den U-Boot-Freunden Oberegg, die genauso wenig ein U-Boot besitzen wie der Hafenverein einen Hafen, legten sie 2015 den Grundstein für das Nartumer Gezeitenkraftwerk. Und mit dem Hafenkonsortium Müsen, einer Gemeinschaftsproduktion aus Feuerwehr und TuS Müsen, drehen sie während des Hafenfests im September Runden auf deren Feuerlöschboot im Naturfreibad. Mit ihren Studienreisen verfolgen die Mitglieder des Nartumer Hafenvereins einen maritimen Bildungsauftrag. Und um den Spaßverein komplett auf die Spitze zu treiben, trägt man bei „offiziellen“ Veranstaltungen Fischerhemd und hat Fahne, Wimpel, Aufkleber und Logo im Gepäck. Auch ohne Kleiderordnung funktioniert es, 90 Prozent der Mitglieder erscheinen richtig gekleidet. Jedes Jahr feiern sie Hafengeburtstag, bei dem auch der Shantychor Windjammer Zeven zu den geladenen Gästen gehört. In diesem Jahr warfen einige Gäste sogar die Angeln im gegenüberliegenden Feld aus und warteten darauf, dass der Hecht beißt. Mittlerweile ist der Nartumer Hafen sogar bei Google Maps zu finden. Das war ein hartes Stück Arbeit, schreckte die Seemänner aber nicht. „Da ist ja kein Wasser“, war die Begründung für die Ablehnung von Google. Frank Jagels deklarierte den Hafen im Hansedorf Nartum als „Sehenswürdigkeit“ und brachte etliche „Bestätigungen“ bei, die den Hafen verifizierten. Dann klappte es. Darauf ein lautes „Land unter – Nartum Ahoi!“