Neben dem Ausbildungsbetrieb wuchs An der Weide 41 in Sottrum auch langsam ein Pensionsbetrieb. Die Erhaltung der Wirtschaftlichkeit ihres Betriebs war da Antrieb. Denn gerade die im vergangenen Sommer ins Astronomische gestiegenen Heupreise ließen so manch einen Betrieb an seine wirtschaftlichen Grenzen kommen. Auch Anja Rietbrock telefonierte mit Polen und Frankreich auf der Suche nach gutem Heu, das sie seit vielen Jahren aus dem Bremer Blockland bezieht. „Trump hat es geschafft, dass die Geschäfte mit den USA zurückgingen“, stellt sie nüchtern fest. Auch das ein Grund, sich breit aufzustellen. Trotzdem hat sie es geschafft, Kunden aus USA und Kanada seit vielen Jahren an sich zu binden. Viele dieser Kontakte resultieren noch aus der Zeit ihres Vaters, berichtet sie stolz. Kunden langfristig an sich zu binden, funktioniert, weil sie mit Qualität und Ehrlichkeit auf das richtige Pferd setzt.
Die Geschäfte seien schwieriger geworden. Die Idealvorstellung der Käufer entspräche heutzutage eher einem Pferd mit „joystick“, an dem alles gleich funktioniert, einfach und bequem ist. Die wenigsten wollten sich mit dem Pferd richtig befassen, so ihre Erfahrung.„Finden, ausbilden und in den Sport entlassen, das macht mir Spaß“, sagt die Sottrumerin, die 2018 ihren Richterschein machte, auch noch nach 25 Jahren. In der Branche ist die Pferdewirtschaftsmeisterin eher eine Einzelkämpferin. Sich selber bezeichnet sie als „horseman von der Pike auf“. Und so hält sie von Googlewissen eher weniger. „Richtiges Putzen kann keiner mehr“, weiß Anja Rietbrock, die nach alter Schule von echten Pferdeleuten wie ihren Eltern, in der Landesreitschule in Hoya, bei Hans-Heinrich Meyer zu Strohen, Dr. Uwe Schulte, Fritz Ligges, Peter Luther und Dr. Uwe Schulten-Baumer lernte. Davon profitieren ihre Lehrlinge. Im Gegensatz zu ihrer eigenen Ausbildungszeit, in der ihr Tag um 6 Uhr in der Frühe begann und abends um 22 Uhr endete, ginge es im Sottrumer Ausbildungsstall wie auf einem „Ponyhof“ zu. So sagt sie es „ihren“ Mädels. Denn Anja Rietbrock sorgt dafür, dass die angehenden Pferdewirte Spaß am Berufsleben haben. Auch heute noch sind Mädchen in diesem Beruf in der Überzahl. Während der gesamten 25 Jahre bildete sie nur drei männliche Lehrlinge aus.
Man müsse ein großer Idealist sein, um mit Pferden zu arbeiten, stellt die Pferdewirtschaftsmeisterin nüchtern fest. Wer Arbeit, Aufwand und Ertrag gegeneinander aufrechne, käme schnell zu der Erkenntnis, sich auf einen anderen Beruf zu verlegen. Auf Anraten ihres Vaters probierte sie ein Jahr lang „vernünftige“ Berufe wie Dekorateurin, Raumausstatterin und Floristin aus. „Das ist es nicht“, merkte sie ganz schnell. Zu der Zeit ritt sie bereits auf den Verdener Auktionen. Dadurch wurde ihre berufliche Entwicklung immer klarer. „Jeder Tag ist neu und jedes Pferd ist eine Herausforderung“, beschreibt sie ihren Alltag. Immer aber muss sie in ihrem Metier ihren „Mann“ stehen. Trotz allem Idealismus ist es aber auch bei Temperaturen um minus 6 Grad Celsius kein Spaß mehr, in der Reithalle zu stehen. Trotzdem füttert sie auch nach so vielen Jahren für ihr Leben gerne. „Das Knabbern von Heu und Hafer ist für mich ein Supergeräusch.“ Weil das so entspannend wirke, bräuchte sie keine „Kling-Klang-Massage“. Mittwoch ist der Tag in ihrer Woche, den sie als eher ruhig bezeichnet. Trotzdem ist Anja Rietbrock an allen Ecken von Stall und Reithalle gefragt. Ob es ein Pferd ist, das sie ihrem Stallmeister aus der Hand nimmt oder eine nicht funktionierende Beleuchtung in der Sattelkammer des renovierten Stalltrakts, sie ist Ansprechpartnerin.
Fotos: Mark Intelmann