Auf ein Glas Wümme-Wein

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    Unterstedt und Weinberg sind auf den ersten Blick nicht die absoluten Traumpartner. Trotzdem hat der Unterstedter Weinberg in der Weinbaukartei die Betriebsnummer 357 18 0015 und ist eines von sechs Weinprojekten, die sich im Niedersächsischen Weinbauverband in Verden zusammengeschlossen haben. Der „Weinberg“ des Wein Gut Wümme ist nicht der nördlichste Deutschlands, dafür aber der erste und einzige im Landkreis Rotenburg. Ein Berg ist das Feld am Heidhauerkamp zwar auch nicht und noch weniger hat es eine Neigung geschweige denn Hanglage. Daher müsste fachlich einwandfrei die Bezeichnung „Anlage“ lauten. „Aber wir sagen trotzdem Weinberg“, sagt Joachim Cordes, der die Sache mit dem Wein in Unterstedt ins Rollen brachte. Erst als lockerer Männerclub, seit 2018 als GbR.
    Sie fingen vor mehr als zehn Jahren als Hobbywinzer bei Null an und durften genau 99 Rebstöcke ohne Genehmigung pflanzen. Seit 2016 bewilligt die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung nun auch in Niedersachsen Flächen zur Neuanpflanzung von Wein. 1.000 Rebstöcke wachsen mittlerweile auf der von der Raiffeisen-Warengenossenschaft Heidesand gepachteten Ackerfläche. 2020 sollte der Unterstedter Weinberg noch einmal um 300 Reben anwachsen. Der erste Unterstedter Wein wurde 2022 auf Flaschen gezogen.

    Vertreten werden die Winzer vom Niedersächsischen Weinbauverband in Verden. Von 16 Mitgliedern werden aktuell 16,4 Hektar Weinbaufläche bewirtschaftet, davon 6,7 Hektar Biozertifiziert. Weitere Flächen befinden sich in der Umstellungsphase auf biologische Erzeugung, so auch die der Unterstedter Winzer. Auf etwa 0,5 Hektar baut das Unterstedter „Weingut“ mit Solaris und Sauvignac zwei weiße und mit Pinotin eine rote Rebsorte an. Allesamt pilzwiderstandsfähige, mehltauresistente Rebsorten (PIWIS), die Spätfröste vertragen, einen früheren Erntezeitpunkt haben wie auch eine hohe Öchslezahl in die Waagschale werfen. Das norddeutsche Schmuddelwetter aber überlisten auch die Piwis nur etwa vier bis fünf Jahre, wie Joachim Cordes als anerkannter Berater für deutschen Wein bemerkte. So war nach dieser Zeit die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln gefragt. Bedingt durch die Umstellung auf Biozertifizierung spritzten die Unterstedter Winzer mit einer Mischung aus Sonnenblumenöl, Backpulver und Wasser. Glyphosat kommt nicht auf den Unterstedter Acker, Pflanzenschutzmittel, wenn nötig nur minimal und dann stammt das aus dem ökologischen Weinbau.

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    Nach dem Supersommer brachte es der Unterstedter Weißwein auf 90 Öchsle. Das seien fast schon zu viel, um daraus einen guten Weißwein machen zu können, sagt Cordes. Der Richtwert liegt bei 80 bis 90 Öchsle. 2019 brachte der Unterstedter Solaris sogar 120 Grad Öchsle auf die Mostwaage. „Das war schlimm“, so Cordes, „er hatte gar keine Säure mehr.“ Denn die Unterstedter Trauben bauen sie alle trocken aus, eventuell feinherb mit dem Zusatz von etwas Süßreserve. Gerade hatte der „Vorsitzende“ der Winzergemeinschaft, Joachim Cordes, den jungen Wein angestochen und getestet, ob Schwefel und Süßreserve zugesetzt werden müssen. Geplant ist, einen Rotling, eine Cuvée aus weißen und roten Trauben, auszubauen. Der ist aber nur für die private Nutzung der Mitglieder der Winzergemeinschaft gedacht. Frühestens im kommenden Jahr wollen sie beginnen, im größeren Stil zu lesen.

    Schon als Student habe er spleenige Ideen gehabt, sagt Cordes. Damals ging er zur Weinernte nach Bordeaux und stellte selber Hagebuttenwein her. Im Wein Gut Wümme scharte er vor zehn Jahren sechs weitere Weinverrückte um sich. Dem Spleenigen aber ist das Unterstedter Weinprojekt längst entwachsen, jetzt holen sie sich Rat bei der Fachhochschule Geisenheim. Aufgrund des Klimawandels, weiß Joachim Cordes, wird der Riesling ab 2035 seinen sortentypischen Geschmack nicht mehr entwickeln können. Ein Grund mehr, dass Norddeutschland auch für den Riesling schwer im Kommen ist. Mit dem Anbau der weißen Rebsorte Sauvignac, einer Neuzüchtung aus Sauvignon und Riesling, machen die Unterstedter Winzer bereits einen Schritt in diese Richtung. Eigentlich werden Rebstöcke im Laufe des Sommers zunehmend vom Laub befreit, damit die Trauben ausreichend Sonne tanken können. Aber in den vergangenen drei Jahren wurden auch in Unterstedt die für die Reife notwendigen Sonnenstunden überschritten, so dass das Laub dem Schutz vor Sonnenbrand dienen musste.

    Aus der spleenigen Ecke sind sie lange schon raus, Professionalität ist angesagt. Für die Bearbeitung ihres Weinbergs investierten die Unterstedter Winzer daher in Grubber, Fräser, Mulcher und Schmalseitenpflug. Um nicht auf Glyphosat zurückgreifen zu müssen, arbeiten sie direkt am Rebstock nur mit der Hacke. Im kommenden Jahr, so der Plan, wollen sie zur Gründüngung und Bodenverbesserung Klee, Senf und Phacelia aussäen und Pferdemist ausstreuen. Eventuell, überlegt Joachim Cordes, müssten sie den Boden mit Magnesium und Kalk aufbessern. 40 Zentimeter unterhalb der Grasnarbe liegt in Unterstedt eine Lehmschicht. „Das ist kein ortstypischer Untergrund, aber ein großer Vorteil“, so der anerkannte Weinberater. Von dieser geographischen Besonderheit wie auch von der Südlage und dem an nördlicher Seite schützenden Wäldchen versprechen sie sich eine ganze Menge und hoffen unter diesen Voraussetzungen, einen schönen Wein mit ortstypischem Geschmack herstellen zu können. Mit seinen feinen Geschmacksnerven schmeckt Joachim Cordes, dass die Rebsorten auf diesem Boden vernünftig und ökologisch angebaut werden. Denn auch da sind die Unterstedter Winzer auf dem Weg, ihr Weinbauprojekt mithilfe von EU-Mitteln auf Biowein umzustellen.

    Den Anbau in Unterstedt möchte die Winzergemeinschaft „Wein Gut Wümme“ auf 1,2 Hektar ausdehnen, dazu sucht sie zusätzliche Flächen. Zum Ausbau der Weine aus der Region fehlt zudem eine Fläche, auf der sie Edelstahltanks aufstellen können. In Niedersachsen gekelterter Wein darf sich bislang weder Qualitäts- noch Landwein nennen, sondern lediglich den Titel „Deutscher Wein“ tragen. Verstecken aber müssen sie sich mit ihrem charaktervollen Tropfen vom Wein Gut Wümme überhaupt nicht. „Der hat was“, so das allgemeine Urteil nicht nur aus dem Landkreis Rotenburg, sondern auch aus Rheinhessen. Wein müsse im Feld gut ausgebaut sein und bei der Lese unreife sowie essig- und bienenstichige Beeren aussortiert werden.

    Wie in Italien findet in Unterstedt die Weinlese mit Körben statt. In zwei Stunden hatten vier Mitglieder des Weinprojekts die diesjährige Weinlese erfolgreich abgeschlossen. Stampften sie in den Anfangsjahren noch barfuß die Trauben, wandern diese mittlerweile durch eine Presse, bevor der Traubensaft in Glasballons sogenannten Demions abgefüllt wird. „Die Atmosphäre muss man sich denken“, sagt Joachim Cordes, wenn er über die „Kellerei“ spricht. Denn die ist kein schummriger Gewölbekeller, sondern ein ganz nüchterner, moderner Keller in einem Einfamilienhaus. Gerade haben die Unterstedter Weinverrückten ihre Leidenschaft geteilt und für fünf Jahre Patenschaften an Rebstöcken vergeben. Mit einmalig 50 Euro partizipieren Weinbegeisterte an Projekt und Wein mit Weinprobe, personalisierten Rebstöcken und Weinfest. Im vergangenen Jahr besuchten bereits 200 Interessierte das Unterstedter Weinfest. „Bei uns sind einige Verrückte dabei“, so der Weinkenner und erzählt, dass sie gerne auch Kunst zwischen den Rebstöcken zeigen möchten. Und auf eine Weinkönigin wollen sie auch nicht verzichten. „Es macht Spaß, aber auch viel Arbeit“, gibt Joachim Cordes gerne zu.

    Fotos: Mark Intelmann

    Sabine von der Decken
    Sabine von der Decken
    Geboren 1957 in Nordrhein-Westfalen, Studium der Diplom-Biologie in Bremen und Oldenburg. Seit mehr als 20 Jahren freie Mitarbeiterin Weser Kurier Bremen, arbeitet zudem für Fachmagazine wie Land und Forst und Gartenbauprofi.
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