Die Verdener Tafel und Ihre Herausforderungen

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    Verden. Gleich ist es so weit. Draußen warten im Sonnenschein etwa 20 bis 30 Männer und Frauen. Um 11 Uhr öffnet sich die Tür. Doch vor dem Einkauf steht das Warten, denn zunächst muss eine Karte mit einer verdeckten Zahl gezogen werden, welche die Reihenfolge der Kunden festlegt. Schließlich nehmen die Wartenden den Einkaufswagen und betreten den großzügig bemessenen Verkaufsraum der Verdener Tafel e.V.

    Registriert sind bei der Verdener Tafel circa 900 Kunden, darunter Familien und Einzelpersonen. Dreimal pro Woche dürfen die Kunden einkaufen. Der zu zahlende Kostenbeitrag richtet sich nach der Personenzahl, maximal sind es jedoch acht Euro. Seit dem frühen Morgen haben die rund 15 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer die Regale und Tresen mit Lebensmitteln bestückt und geben diese nun je nach Größe der Familien an die Frauen und Mäner aus. Lebensmittel, auf die die Kunden angewiesen sind, weil sie es sich aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht leisten können, sich ausschließlich in den herkömmlichen Lebensmittelmärkten am Ort zu versorgen. Bedürftig ist grundsätzlich jeder – so heißt es in Paragraf 53 der Abgabenordnung –, der subjektiv mehr, vielfältigere oder gesündere Nahrungsmittel benötigt als er sich leisten kann. Liane Schulz, die Vorsitzende der Verdener Tafel, erzählt von der Scham, die viele Bedürftige haben und die deshalb nicht zur Tafel kommen. In Deutschland leben etwa 13 Millionen Bürgerinnen und Bürger unter der Armutsgrenze, aber nur knapp zwei Millionen kämen zur Tafel. Gerade jetzt, in Zeiten von hoher Inflation und steigenden Energierechnungen, nimmt damit auch die Zahl der Tafel-Kunden zu. In Deutschland liegt laut statistischem Bundesamt diese Armutsschwelle in einem Single-Haushalt bei 1074 Euro.

    Ich sitze mit Liane Schulz, Gisela Görz und Horst Neumann aus dem Vorstand der Tafel am Tisch. Man ist stolz darauf, in Verden 1997 eine der ersten Tafeln unter den kleineren Städten Deutschlands gegründet zu haben; der eingetragene Verein besteht seit 1999. Begonnen hat alles als Bürgerinitiative in den Räumen der Domgemeinde. Die erste Tafel gab es übrigens – gegründet von einer Fraueninitiative – 1993 in Berlin. Ziel all dieser inzwischen 960 Tafeln mit ihren 60.000 ehrenamtlichen Mitarbeitern ist es, Lebensmittel zu retten – jährlich etwa 260000 Tonnen – und sie weiterzugeben an Menschen in Armut, die sich keine ausgewogene Ernährung leisten können.

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    Das Haus der Verdener Tafel in der Ulanenstraße 19 entstand durch die Initiative der damaligen Vorsitzenden Heike Doppertin und des Unternehmers Wolfgang Reichelt (Firma Block) im Jahr 2008. Gut 30 größere und viele kleine Sponsoren halfen in Verden mit, das Ziel zu realisieren, wobei sich Wolfgang Reichelt besonders engagierte. Das Grundstück stellte die Stadt Verden als Erbpacht unentgeltlich zur Verfügung; die ARD-Fernsehlotterie gab weitere 170 000 Euro zum Bau des Tafel-Hauses dazu. Grundsteinlegung war im März 2009, Richtfest im April 2009 und die Einweihung des neuen Hauses fand bereits im September statt. 60 Ehrenamtliche arbeiten inzwischen mit; der Vorstand setzt sich aus fünf Mitgliedern zusammen, hinzu kommen vier Beisitzer. Und seit Oktober gibt es eine Mitarbeiterin im Bundesfreiwilligendienst. Wieviele Stunden an den fünf Öffnungstagen investieren die Helferinnen und Helfer, investiert zum Beispiel Liane Schulz in ihre Tätigkeit? Bevor Liane Schulz reagieren kann, antwortet Gisela Görz, ebenfalls im Vorstand: „Frau Schulz macht hier einen 24-Stunden-Job!“ Das glaubt man sofort, denn Liane Schulz wirkt engagiert und entschlossen. Im Gespräch mit ihr stellt sich schnell heraus, dass es für viele Ehrenamtliche wichtig war, nach einem Arbeitsleben das Gefühl zu haben, noch gebraucht zu werden. Gisela Görz lobt das Miteinander im Vorstand, die tolle Gemeinschaft. „Nur gemeinsam sind wir stark“, bestätigt Liane Schulz.

    Natürlich ist die Motivation der Ehrenamtlichen vielschichtig: Da ist zum Beispiel der Austausch mit anderen Ehrenamtlichen und den Kunden. Verschiedene Sichtweisen, Meinungen und Lebensgeschichten zu hören, und die Gewissheit, dass alle an einem Strang ziehen und mit Herzblut anpacken. Am Ende eines Tages nach Hause gehen in dem Wissen, anderen Menschen etwas Gutes getan und mehr geleistet zu haben, als Lebensmittel zu retten und zu verteilen. Die Tafel befindet sich im Wandel. Die Corona-Pandemie und auch Krisen und Kriege in der Welt haben die Tafelarbeit verändert. Neue Konzepte mussten entwickelt werden. Gerade jetzt bei wieder steigenden Zahlen von Flüchtenden ist das Grundproblem, dass diese das Angebot der Tafel stark verknappen.

    Täglich sind zwei große Kühlfahrzeuge ab 7.30 Uhr mit Fahrer und Beifahrer unterwegs und holen aus den Lebensmittelmärkten des Landkreises Verden Ware ab. Die Fahrer sortieren an den abgebenden Geschäften die Ware grob vor. Nach Anlieferung im Tafelhaus geht das Sortieren weiter. Belohnt werden die Ehrenamtlichen durch die Reaktion der Kunden: ein freundliches Lächeln und auch schon mal ein Glas selbstgekochter Marmelade oder ein Blech selbstgebackener Kuchen. Am Ende unseres Gespräches führt mich Liane Schulz durch die Räume der Verdener Tafel. Die Anzahl an Stau- und Kühlräumen ist beeindruckend. Einige der ehrenamtlichen Helfer tauschen sich noch schnell aus, denn gleich geht es los. Um 11 Uhr wird die Tür für die Wartenden geöffnet

    Fotos: Arne von Brill

    Heribert Eiden
    Heribert Eiden
    Erste Erfahrungen mit der Presse am Gymnasium in seiner Heimat. In der Schülerzeitung berichtet er 1967 u.a. höchst kritisch über eine NPD-Veranstaltung. Nach Studium von Germanistik und Geschichte in Freiburg wird Lehrer und engagiert sich im Theaterfach als Regisseur in Schulen wie im Rotenburger Theater RollenTausch.
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