Manufaktur ist die Bruns Schnaps- fabrik bis heute geblieben. Wurden früher 100.000 Flaschen pro Jahr produziert, erreicht das Produktionsvolumen diese Anzahl heute nicht mehr. Denn die Zeiten waren wechselvoll für das Unternehmen. Hatten die Produkte der Bruns Schnapsfabrik in Rotenburg früher volle Marktabdeckung, änderte sich dies durch vergrößerte Angebote bei Einzelhändlern und Discountern. Die besten Zeiten für das Rotenburger Unternehmen lagen zwischen Ende des zweiten Weltkriegs und 1973. Seit zehn Jahren aber stellt Jens Fajen ein verändertes Kaufverhalten durch Rückbesinnung auf regionale Produkte fest. Heute empfinden Menschen die Bewahrung von Tradition nicht mehr als antiquiert und übriggeblieben, sondern bezeichnen das Ladengeschäft in der Großen Straße als „ coolen alten Laden“. Trend sind eigener Schnaps und Whisky. „Wir schwimmen auf der Individualisierungswelle mit. Die Zeiten sind heute perfekt“, freut sich Fajen. Große Mengen können und wollen sie aber nicht liefern. Denn der Rotenburger Unternehmer steht mit jeder Faser zu dem Status des kleinen Fachhändlers, der vorzugsweise Gastronomie, Hofläden und Kaffeeröstereien beliefert.
Trotz „Zeitkapsel“ und eines Ladengeschäfts in der Rotenburger Innenstadt, in dem es nach „Gestern“ duftet, ist das Angebot der einzigen Rotenburger Schnaps- und Likörfabrik absolut von heute. Auch mit dem Online-Verkauf zeigt sich das Unternehmen als nicht von gestern. Jüngstes und luxuriösestes Kind von Jens Fajen ist „Flow Gin“, eine Symbiose aus Wacholderbeeren und iranischen Rosenknospen, der beim Worlds bird award 2017 Silber gewann. Ebenfalls aus seiner Entwicklung stammen Nusslikör, etliche Fruchtliköre, aber auch der speziell für den Bremer Schnoor kreierte Kräuterlikör. Ein echtes Rotenburger Kind ist Bruns Roter. Unter 20 Volumenprozent läuft bei Bruns aber gar nichts, das jedoch wird deutschlandweit verschickt. Apotheken und Heilpraktiker ordern in der Rotenburger Spirituosenfabrik eigene Kräutermischungen. Ausschließlich nach Berlin geht ein spezieller Magenbitter. Für die Herstellung neuer Sorten braucht Fajen mehrere Monate. Irgendwann hat er dann ein fertiges Rezept. Mit an der Herstellung beteiligt sind dabei Teilnehmer seiner wöchentlich veranstalteten dreistündigen Verköstigungen. Die dürfen ihren „Senf“ zum Geschmack des neuen Hochprozentigen abgegeben, denn auf deren Urteil legt Fajen großen Wert. „Als Meinungsforschung funktioniert das ganz zuverlässig.“ Denn, so der Likörfabrikant, es soll ja allen schmecken. In einem feuerfesten Tresor lagern 800 Rezepte, die vier Generationen zur Herstellung von Hochprozentigem schriftlich festhielten. Nicht alle hat Jens Fajen im Kopf, aus diesem Grund müssen sie gut für die nächste Generation verwahrt werden. Allein 100 Rezepte stammen aus seiner Feder. Die ganz alten, so der Rotenburger Likörfabrikant, könne man nicht mehr herstellen ohne mit dem Betäubungsmittelgesetz in Konflikt zu geraten. Denn vor über 100 Jahren wurde auch schon einmal Kokain in Form von Kokablättern zur Likörherstellung verwendet.
„Ich freue mich, keine Videothek, sondern eine Schnapsfabrik geerbt zu haben“, sagt Fajen. Der führt in vierter Generation den Laden in der Großen Straße, der mit 111 Jahren das zweitälteste Ladengeschäft Rotenburgs ist und den einzigen Luftschutzbunker für den Innenstadtbereich besitzt. Die wenigen noch vorhanden Alkoholreste mussten damals während einiger Bombennächte herhalten. 1906 gründete Fajens Urgroßvater Ludwig Bruns hier einen Betrieb zur Herstellung von Schnäpsen und Likören. „Finger weg von Sachen ohne Alkohol“, war seine Devise. Denn schon immer interessierte er sich für Alkohol und dessen Herstellung. Aus diesem Grund wechselte er vom Walsroder Hotelfach in das Metier des Rotenburger Likörfabrikanten. Die gute Bahnanbindung war entscheidender Faktor, weshalb er den Ort an der Wümme als Standort für Laden und Produktion wählte. Alkohol muss man als Genuss sehen“, sagte auch Jens Fajens Großvater. Getreu diesem Motto war bei Einweihung des neuen Standorts an der Westerholzer Straße ganz Rotenburg zum Umsonst-Trinken eingeladen. „Das war das größte Trinkgelage nach dem 2. Weltkrieg.“ Knapp 2.000 Flaschen Weizenkorn wurden an diesem Tag zwischen Sonnenuntergang und -aufgang aus feierlichem Anlass geleert. Für 2030 plant Jens Fajen das Unternehmen an die nächste Generation weiterzugeben. Und das dann ähnlich fulminant mit einem ebenso großen Trinkgelage, darauf freut er sich schon heute.
Fajens Urgroßvater setzte auf Kirsch- und Pflaumenliköre, zu Zeiten von Jens Fajens Vater lagen Pfefferminz- und Kaffeeliköre voll im Trend. Damals wie heute ist deren Basis Weizenbrandalkohol und sehr gutes Wasser. Und das gibt es in der Westerholzer Straße, da die Produktion im Wasserschutzgebiet liegt. Je länger die Schnäpse lagern, verrät der Likörfabrikant, umso weniger müssen sie gefiltert werden. Der bewusste Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen liegt Jens Fajen besonders am Herzen. So setzt er auf Solar- energie, mit deren Hilfe der Produktionsstandort an der Westerholzer Straße im Sommer energetisch autark ist. Dafür, dass er mehr als 50 Prozent des Betriebsgeländes der Natur überlassen hat, wurde Bruns Spirituosenfabrik mit dem vom BdA ausgelobten Preis „Industrie in der Landschaft“ ausgezeichnet. Und auch beim Pfandsystem und der Auslieferung mit durch Solarstrom angetriebenen Fahrzeugen zeigt Fajen sich umweltbewusst.
Fotos: Mark Intelmann