Helmut Kruckenberg- immer schon Gans interessiert

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    Gänseforscher Helmut Kruckenberg. Gerade hatte er mit den Sendern viel Ärger, weil alle 3G-Netze in Deutschland abgeschaltet wurden. Und deshalb erhielten Dr. Helmut Kruckenberg und sein Forschungsteam von ihren 81 Sendern keine Informationen mehr über das Verhalten der Zwerggänse und Brachvögel. Besonders ärgerlich sind die Brachvögel. Seit der Ankunft im Brutgebiet im März herrschte Funkstille im Netz, Daten gab es fast nicht. Das noch existente 2G-Datennetz hat in vielen gerade ländlichen Regionen große Verbindungslücken. Die Sender können ihre Daten nicht abschicken. Im besten Fall könnten die gespeicherten Daten zur Erstellung von Bewegungsprofilen wieder abgerufen werden, wenn sie wieder ein Netz haben, sagte der Verdener Gänseexperte hoffnungsvoll. „Wenn es ganz blöd läuft“, so Kruckenberg, „ist aber irgendwann der Speicher einfach voll.“ Bei Projektbeginn war den Forschern versprochen worden, 2G würde vollkommen ausreichen. Doch jetzt zeigt sich, dass in vielen Brutrevieren die Daten nicht gesendet werden können. So können die Nester der bedrohten Wiesenbrüter nicht geortet und geschützt werden. „Bei den Gänsen ist es etwas besser“, sagt Kruckenberg, „die bewegen sich weiträumig und kommen so öfter in die Nähe eines Funkmastes“.

    Es waren der Tierfilmer Hans Sielmann und der Zoologe Bernhard Grzimek, die ihn in früher Jugend schon faszinierten. „Das fand ich immer ganz cool, was die machten“, sagte er. Schon in der ersten Klasse der Grundschule schloss sich Kruckenberg dem NABU an und machte mit den Naturschützern viele Exkursionen. Später waren es die Pfadfinder vom Leeraner „Stamm Wildgänse“, die ihn in die Natur führten. In Osnabrück studierte Helmut Kruckenberg dann Biologie, Thema seiner Diplomarbeit waren da schon Gänse am Dollart und die Störwirkung von Verkehr und Straßenführung auf das Vorkommen der Gänsearten. Gansbewegt ging es weiter, Kruckenberg erstellte eine Schadensuntersuchung über den Einfluss der Beweidung durch Gänse auf landwirtschaftliche Flächen, arbeitete für den NABU Ostfriesland und organisierte hier Exkursionen zu den Gänsen. Es interessierte ihn immer das „Angewandte“, was zum Schutz von Tieren getan werden muss sowie die Entwicklung von Schutzkonzepten.

    Anders als Verhaltensforscher Konrad Lorenz, der seine Untersuchungen auf Graugänse beschränkte, interessieren den Gänseforscher Kruckenberg vor allem arktische Arten wie Nonnen- oder Weißwangengans, Bläss- und Zwerggans. 2005 kam dann ausnahmsweise mal den Wissenschaftlern die Vogelgrippe als Aufhänger in Zusammenhang mit Gänsen zu Hilfe und öffnete ihnen die Tür für Untersuchungen in der russischen Arktis. Finanziert wurde die Studie zur Aufklärung über das Flugverhalten der Gänse in ihre Brutgebiete vom Vogelschutz-Komitee e.V. Mit russischen Kollegen traf er sich in Petersburg, hier fiel die Entscheidung zugunsten einer unbewohnten Insel in der Barentssee. Vogelkundlich war die Insel fast unbekannt. „Einen ganzen Sommer hat dort noch nie jemand geforscht“. Seit 2006 verbrachte das Forschungsteam um Helmut Kruckenberg seitdem fast jeden Sommer auf der Insel Kolgujew, die zu der Zeit nicht mehr als 4 bis 6 Grad Celsius, im Juli auch mal 30 Grad Celsius zu bieten hat. Bereits im Jahr 2000 hielt sich der Wissenschaftler schon mal einige Wochen zu Forschungszwecken auf Spitzbergen auf. „Das war auch abgelegen, hat aber eine deutlich bessere Infrastruktur als Kolgujew“, stellte Kruckenberg nüchtern fest. Für den kurzen arktischen Sommer von drei Monaten müssen die Forscher wirklich alles auf die Insel schleppen. Auch Zelte, Windgenerator, Kühltruhe für Proben, Wildkameras, Netze, Stangen, Boote, Funkgeräte und Satellitentelefon sind immer im Gepäck. Bis 3,5 Tonnen darf der russische Hubschrauber Mi8 MTB laden. In normalen Sommern gibt es alle vier Wochen einen Flug, um das Team auszutauschen oder zu ergänzen. Braucht man im zeitigen Frühjahr Ende Mai nur vier bis fünf Mitarbeiter, so sind es zu den großen Fangaktionen Ende Juli bis zu 15 Personen. Das anspruchsvolle Programm ist ziemlich durchgeplant. „Aber in der Arktis entscheidet das Wetter viel“, so Kruckenberg, „ist es gut, muss man raus. Es kann sich schnell ändern“. Stürme mit Windstärke 9 haben die Zelte schon überstanden – wenngleich nicht immer alle.

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    Schon sehr frühzeitig nahm der Forscher die Veränderungen in der gesellschaftlichen Atmosphäre Russlands wahr. Er registrierte bereits seit 2012 Repression nach innen und mit Corona dann auch eine verstärkte Abschottung nach außen. Ab diesem Zeitpunkt gestaltete sich die wissenschaftliche Arbeit mehr als schwierig. Schon 2019 erhielten einige Kollegen kein Visum mehr, 2021 durften niederländische Kollegen keines beantragen. Das Coronajahr 2020 war dann ein Totalausfall und seit Beginn des Ukrainekriegs läuft auf allen Ebenen nichts mehr. Als Mitglied vieler internationaler Arbeitsgruppen aber ist Helmut Kruckenberg nicht mit der Politik, jeden Russen aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit vom kulturellen und wissenschaftlichen Leben auszuschließen und unter Kuratel zu stellen, einverstanden. „Das sind Wissenschaftler, die wir seit vielen Jahren kennen. Viele sind auch mit der Politik des Kreml absolut nicht einverstanden“, sagte er ohne Verständnis für die ausgerufene Sippenhaft. Immer wieder wird ihm in seiner wissenschaftlichen Arbeit die starke Abhängigkeit von der Politik und die durch die Politik begrenzten Rahmenbedingungen vor Augen geführt. In seinen Anfängen war ihm nicht klar, wie politisch sein Job als Gänseforscher doch eigentlich ist. „Beim Umgang mit den Gänsen spielen ja viele Interessen hinein und wissenschaftliche Ergebnisse sind da nicht immer willkommen“.

    Momentan mache er nicht mehr so viel in Gänse, sondern arbeite an Projekten, um die Wintergebiete unserer Brachvögel und die Brutgebiete der arktischen Pfeifenten zu finden. Denn die, obwohl so klein, legen unfassbare Strecken zurück. Große Reisen stehen zurzeit nicht an, nach Russland sowieso nicht. Ein Liebhaber großer Hitze ist er nicht, deshalb kommen ihm die Zugrouten der arktischen Gänse und der norddeutschen Brachvögel sehr entgegen. In Ostfriesland, seiner alten Heimat, machte er bereits seit 1996 Vogelzählungen von allen Vogelarten. 20 Jahre seien ein langer Zeitraum, jetzt komme die Auswertung. Im Flächenschutz seien bereits einige Erfolge erzielt worden, so der Wissenschaftler erfreut. Helmut Kruckenberg arbeitet von zu Hause oder aus dem Auto heraus, in dem er viel Zeit verbringt. „Der Job ist nicht nur viel tolles Draußensitzen und Beobachten“, stellte er klar. Augenzwinkernd bezeichnet er sich als Kraftfahrer mit Zusatzausbildung. Manchmal würde er sich abhängig von den Konditionen allerdings einen Acht-Stunden-Tag wünschen. Vögel sind seine Leidenschaft. Was ihm aber an seinem Job nicht so gefällt, ist das „einsame“ Arbeiten ohne Kollegen. Nur während der Auswertung werde im Team gearbeitet. Vorteil aber sei, dass es durch diese Arbeitsweise auch nur wenige starre Regeln gebe.

    Anfänglich verursachten Windkraftanlagen durch ihre exponierte Lage wenig Konflikte mit Vögeln. Heutzutage aber reichen die mit ihrer Größe bis in die Höhen des jährlichen Langstreckenflugs und drehen sich gefühlt langsamer. Dadurch habe das Kollisionsrisiko für Segelflieger wie Greifvögel oder Störche zugenommen. Senderdaten dokumentierten, dass Vögel bei der Durchquerung beziehungsweise Umfliegung von Windparks 25 Prozent mehr an Strecke zurücklegen. Das beweise, dass Vögel lernen, mit dieser Art von Hindernis umzugehen. Es zeige aber auch, dass die dadurch verlorengegangene Energie auf landwirtschaftlichen Flächen wieder aufgefüllt werden muss.In der ganzjährigen Fütterung von Singvögeln im Garten sieht Helmut Kruckenberg kein Problem. Man dürfe sich aber nur nicht einbilden, mit der Fütterung eine große Artenvielfalt zu fördern. Man fördere vor allem die Allerweltsarten, den dramatischen Artenschwund verhindere man nicht. Dieser vollzieht sich überwiegend in der Agrarlandschaft. Aufgrund der Vielfalt an Blühendem sei sein Garten ein absoluter Hotspot für Insekten und Vögel. „Es kommt der halbe Stadtwald“, berichtete der Forscher, der mithilfe spezieller Netze die Vögel in seinem Garten einfing und beringte.

    Fotos: Arne von Brill, Helmut Kruckenberg

    Sabine von der Decken
    Sabine von der Decken
    Geboren 1957 in Nordrhein-Westfalen, Studium der Diplom-Biologie in Bremen und Oldenburg. Seit mehr als 20 Jahren freie Mitarbeiterin Weser Kurier Bremen, arbeitet zudem für Fachmagazine wie Land und Forst und Gartenbauprofi.
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