Die Vision, für die sich die drei (gemeinsam mit weiteren Beiräten, Geschäftsführer Matthias Grünig und vielen weiteren Unterstützern) so ins Zeug legen: Sie wollen vor Ort eine neue Einkaufsmöglichkeit etablieren – und damit ein Stück verloren gegangene Lebensqualität nach Bötersen zurückholen. „Manchmal begreift man die Bedeutung einer Sache erst, wenn sie plötzlich nicht mehr da ist“, sagt Stephanie Schramm. „Ein Laden im Dorf, das ist ein ganz wichtiger Ort der Begegnung. Und eine Grundvoraussetzung, damit alle Generationen hier ein selbstbestimmtes Leben führen können.“ Auf der Straße herrscht Feierabendbetrieb. Passanten winken, rufen einander kurze Grüße zu. „Wir sind eine intakte Dorfgemeinschaft“, sagt Letzel, „und so soll es auch bleiben.“ Dass betagte Menschen für jede Besorgung auf die Hilfe ihrer Familien angewiesen seien, sei kein Zustand. „Schon gar nicht in einer Gemeinde, die Wert darauf legt, dass von Jung bis Alt alle gleichermaßen in die Gemeinschaft eingebunden sind.“ Auch die Lütten, die den Umgang mit Geld erst noch lernen müssten, seien ohne fußläufig erreichbare Anlaufstelle ausgegrenzt. Hervorgegangen ist das Dorf- laden-Projekt aus der Initiative „Unser Dorf hat Zukunft“ (bei dem Bötersen 2018 den Landesentscheid gewonnen hat). Keimzelle war ein Arbeitskreis mit rund 30 Mitwirkenden, inzwischen haben bereits 130 Einwohner zugesagt, Geld in die „Dorfladen Bötersen UG (haftungsbeschränkt)“ zu investieren. Das Kürzel „UG“ bedeutet Unternehmergesellschaft. Mit einem Mindestbeitrag von 250 Euro erwerben die Gesellschafter ein Mitbestimmungsrecht am Dorfladen – und leisten gleichzeitig einen Beitrag zum notwendigen Startkapital.
Am 14. August wurde die UG mit 104 Personen gegründet. „Aus dem Stand sind mehr als 32.800 Euro zusammengekommen“, sagt Arne Brunckhorst. „Das hat uns alle umgeworfen. Vom Konfirmanden bis zum Rentner war jede Altersstufe vertreten.“ Die Zahl der Menschen, die hinter der Idee stehen, ist jedoch weitaus größer. Immerhin haben sich bei einer Umfrage ganze 94 Prozent der Teilnehmer für einen Dorfladen ausgesprochen. Und so soll er aussehen, der gemeinnützige Vollsortimenter: 160 Quadratmeter Verkaufsfläche, auf denen vom Apfel über das Schnitzel bis zum Waschpulver alle Waren des täglichen Bedarfs zu finden sind – und zwar in unterschiedlichen Qualitäten von günstig bis Bio. Wo immer möglich, soll auch ein regionales Produkt (aus 30 Kilometern Umkreis) zur Auswahl stehen.
Noch braucht man ein bisschen Phantasie, um sich in der Dorfstraße 5 den neuen, schön gestalteten Verkaufsraum vorzustellen – und die künftigen Kunden, die nach dem Einkauf noch in Ruhe auf einen Schnack und einen Kaffee bleiben. Zeit genug sollte sein dank geplanter Öffnungszeiten von mehr als 50 Stunden: werktags von 6.30 Uhr bis 18 bzw. 19 Uhr (exklusive einer zweistündigen Mittagspause). Hinzu kommen fünf Stunden für den Samstagseinkauf (7 bis 13 Uhr) und zwei für den Erwerb der Sonntagsbrötchen (8 bis 10 Uhr). Große Gewinne muss die UG nicht erwirtschaften. „Deswegen kann das Preisniveau mit anderen Supermärkten mithalten“, versprechen die Beiratsmitglieder. Mit Beginn des operativen Betriebs ist geplant, dass Geschäftsführer Matthias Grünig das Zepter an den neuen Marktleiter abgibt, der idealerweise Erfahrungen in der Branche hat. Zudem sollen vier vernünftig bezahlte Arbeitsplätze in Voll- und Teilzeit plus Aushilfsjobs entstehen.
Das alles klingt fast zu schön, um wahr zu sein, doch dahinter stehen realistische Berechnungen, betont Brunckhorst. Schließlich wird der Arbeitskreis von Anfang an fachmännisch beraten. Dafür sorgt Wolfgang Gröll von der Bundesvereinigung multifunktionaler Dorfläden (BMD) – eine Institution, die sich die Förderung von Initiativen zur Verbesserung der Nahversorgung im ländlichen Raum auf die Fahnen geschrieben hat. Praktisch, dass der Sitz des BMD im nur rund 40 Kilometer entfernen Otersen liegt (Einheitsgemeinde Kirchlinteln). Die Experten-Beratung werde übrigens von der Gemeinde Bötersen finanziert, sagt Brunckhorst.
Zusammen mit Wolfgang Gröll konnte der Beirat ein solides Zahlenwerk ausarbeiten. Rund 8.000 Euro Umsatz muss der Dorfladen demnach pro Woche machen, um überlebensfähig zu sein. Dieses Ziel wird erreicht, wenn jeder der rund 1.000 Einwohner im Schnitt wöchentlich etwa acht Euro an der Kasse lässt. „Das ist sehr realistisch“, sagt Brunckhorst. „Laut den Erfahrungen von Wolfgang Gröll kommen nur 15 Prozent der Dorfläden langfristig nicht über die Runden.“ Damit ihr „Baby“ groß und stark werde, müsse es aber auch tatsächlich als Nahversorger in Anspruch genommen werden – „Nicht nur für die Sonntagsbrötchen.“ Im September hat der Beirat einen 160 Seiten starken Fördermittelantrag beim Amt für regionale Landesentwicklung eingereicht. Sollte er bewilligt werden (wovon alle Beteiligten ausgehen), dann übernimmt das Bundesland 35 bis 45 Prozent der Investitionskosten. Im Februar oder März fällt die Entscheidung. Im Idealfall könnte der Dorfladen Bötersen rund 120 Tage später bereits Wirklichkeit sein. Dass die Wartezeit bis dahin langweilig wird, muss der Beirat nicht befürchten. Die Liste der Übergangsarbeiten ist lang: Öffentlichkeitsarbeit betreiben, Gespräche mit potentiellen Zulieferern führen, Angebote für die Ladengestaltung einholen… „Vor allem nutzen wir die Zeit, um weitere Gesellschafter zu werben“, sagt Maxi Letzel. „Jeder weitere Tausender, den wir als Startkapital zusammenbekommen, ist ein glücklicher Tausender.“ Wieder saust eine Eichel aus der Baumkrone und knallt aufs Dach eines geparkten Autos – hübsch laut, als wollten die Eichen (die wahrscheinlich ältesten lebenden Bötersener), sich noch einmal in Erinnerung bringen. „Am Anfang haben wir den Dorfladen als eine Art Abenteuer gesehen“, meint Letzel. „Daraus ist ziemlich schnell eine Menge Verantwortung geworden.“ Die anderen nicken. Aber die eigene Zukunft ist Motivation genug: „In 40 Jahren werden wir die Senioren sein“, sagt Stephanie Schramm, „und wenn alles gut läuft, werden wir hier in der Kaffeeecke sitzen und klönen.“