Hospiz – Auch ich werde sterben

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    Rotenburg. Denn „Mitten im Leben sind wir mit dem Tod umfangen“, heißt Martin Luthers Übersetzung eines Chorals aus dem 8. Jahrhundert. Auf Grund der hohen Kindersterblichkeit war über viele Jahrhunderte das Durchschnittsalter der Verstorbenen niedrig. Und Seuchen konnten selten bekämpft werden. Der Tod war ein Begleiter des Alltags. Ab dem späten 19. Jahrhundert verdoppelte sich in den Industrienationen die durchschnittliche Lebenserwartung dank der verbesserten Hygiene in den Wohnungen und Häusern, aufgrund der sichereren Ernährungslage und dank der Erkenntnisse der Medizin. So sind Sterben und Tod heute für viele ein weit entferntes Ereignis, welches das eigene Dasein nicht betrifft. Von der „Kunst des Sterbens“ will man in spaßbetonten und narzisstischen Gesellschaften nichts mehr wissen. Der Tod wird verdrängt im übertragenen wie im räumlichen Sinn. Und so wird das einsame Sterben in Krankenhäusern, womöglich noch in sogenannten Sterbezimmern, in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Regel. Auf dem Lande hielt sich das Bewusstsein länger, dass der Tod zum Leben gehört. Es wurde deutlich, wenn der Verstorbene zu Hause verscheiden konnte und der Leichnam im offenen Sarg noch ein oder zwei Tage im Hause blieb. Auch war es bis vor wenigen Jahren in einigen Dörfern unseres Landkreises Tradition, dass Nachbarn des Verstorbenen das Grab schaufelten und den Sarg später zum Grab trugen. So begleitete das Dorf den Toten auf seinem letzten Gang vom Haus zum Friedhof. Leben und Sterben in der Gemeinschaft des Dorfes eben.

    Wir schreiben den 20. September 2020. Und ich sitze dem Geschäftsführer Johannes Stephens gegenüber. Er will das Prinzip, dass der Tod zum Leben gehört und die Würde des Menschen auch während des Sterbens ihre Gültigkeit haben muss, im Hospiz in Rotenburg am Therkornsberg verwirklichen. Johannes Stephens, 32, ist mit einer Ärztin verheiratet und hat sein Studium mit zwei Masterabschlüssen in Sozialer Arbeit und in Sozialmanagement beendet. Schon als Student merkte er, dass soziales Engagement etwas ist, das seinen Lebenszielen entspricht. Seit Juni 2017 arbeitet er als Referent des Vorstandes des Diakonissen-Mutterhauses. Seit Februar ist er Geschäftsführer des noch in Bau befindlichen Hospizes. Forsch ist er und zupackend und in seinem Element, wenn er von dem Hospizprojekt erzählt: Er rechnet mit 1,5 Millionen Euro Betriebskosten im Jahr, davon etwa 80 Prozent an Personalkosten. 25 Mitarbeiter im multiprofessionellen Team werden die Sterbenden betreuen. Zehn Plätze wird es geben, davon neun für die Schwerstkranken, ein Zimmer wird für Angehörige reserviert bleiben. Der Vorstand des Vereins Ev.-luth. Diakonissen-Mutterhaus Rotenburg (Wümme) e.V. verfolgt zunächst neben den anderen Tätigkeitsbereichen (Altenpflege, Schulzentrum, Kita, Flüchtlingshilfe und Berufsakademie) in der Hospizarbeit, in Kooperation mit den Rotenburger Werken, sozial-kurative Ziele. Und obwohl Rücklagen nicht wie in herkömmlichen Unternehmen gebildet werden können, sondern in einem gemeinnützigen Verein (gGmbH) eine „zeitnahe Mittelverwendung“ gesetzlich vorgeschrieben ist, muss der Geschäftsführer Stephens Diakonie und Ökonomie in Einklang bringen

    Mit 120 Hospizgästen pro Jahr rechnet Johannes Stephens. Die erwartete durchschnittliche Verweildauer: circa drei bis fünf Wochen. Warum so wenig Hospiz-Plätze? Denn immerhin sterben in Rotenburg jährlich etwa 1700 Menschen. „Die Größe der Hospize ist gesetzlich vorgeschrieben“, erläutert Johannes Stephens. „Ein Hospiz soll nicht den Charakter eines Krankenhauses haben, sondern eher einer Wohngemeinschaft ähneln. Außerdem: In Niedersachsen sind die Hospize so verteilt, dass es zum nächsten Hospiz nicht viel mehr als 50 Kilometer beziehungsweise eine Stunde Fahrzeit sein sollen.“ Die Anzahl der Plätze sei begrenzt, daher sollten sich Angehörige oder Schwerkranke rechtzeitig um einen Hospizplatz kümmern. Die Einweisung in ein Hospiz wird vom Hausarzt oder Krankenhausarzt verordnet. Schon nach wenigen Tagen kann der Kranke sein Zimmer beziehen. In Rotenburg ist der Hospizgedanke nicht neu. So existiert hier der Hospizverein, in dem sich ca. 40 Ehrenamtliche um die psychosoziale Betreuung der Angehörigen und Kranken kümmern – 50 Prozent davon ambulant. Daneben arbeitet der Palliativstützpunkt. Ihm geht es um die Koordination der verschiedenen Pflegedienste in Absprache mit dem Hospizverein zum Wohle der Kranken. Im Hospiz werden Sterbende aufgenommen, die eine begrenzte Lebenserwartung haben. Im Gegensatz zur Palliativstation im benachbarten Agaplesion, deren Ziel die medizinisch notwendige Wiederherstellung des Kranken ist, damit er nach Hause entlassen werden kann.

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    Mehr als ein Jahr nach unserem ersten Gespräch ist vergangen, das Hospiz wurde am 1. Juni 2021 eröffnet. Hier sitze ich an dem massiven Eichentisch im freundlich-hellen Gemeinschaftsraum und spreche mit Johanne Pagel, der Leiterin des Sozialdienstes im Hospiz, und wieder mit Johannes Stephens. Frau Pagel stellt den Kontakt her zwischen dem Hospiz und den Angehörigen. Wenn Angehörige ihren Partner, Freund oder Verwandten besuchen möchten, so können sie in dem Angehörigenzimmer, im Zimmer des Gastes selbst oder im Wohnmobil übernachten. Der Gemeinschaftsraum ist das architektonische wie ideelle Zentrum des Hospizes: ausgestattet mit großem Bildschirm, einem Klavier, einem Küchenblock mit Kücheneinrichtung. Hier treffen sich Mitarbeiter wie Gäste, versammeln sich um den riesigen Eichentisch. Wenn Gäste es wünschen, lassen sie sich mit ihrem Bett in den Gemeinschaftsraum bringen. Johannes Stephens führt uns durch das lichtdurchflutete Gebäude, das nach seinem architektonischen Vorbild in Sulingen symmetrisch gestaltet ist. Alle Gasträume haben direkten Zugang zu Terrasse und Garten. Man sieht und spürt: Das Hospiz „Zum Guten Hirten“ hat den Anspruch, nicht dem Leben Tage, sondern den Tagen Leben zu schenken. Darum werden die Bewohner auch nicht Patienten, sondern Gäste genannt.

    Wie fühlt man sich als Mitarbeiterin oder Geschäftsführer nach fast einem halben Jahr im neuen Hospiz? Um den ungewohnten Einstieg in die Hospizarbeit nach der Eröffnung zu erleichtern, startete man zunächst nur mit sieben Gästen. „Es ruckelte ein wenig in den ersten Wochen, was natürlich völlig normal ist“, meint Johannes Stephens. Inzwischen ist man eingearbeitet, auch im Finanziellen. Und bisher hätten die Kassen noch nie eine Abrechnung zurückgewiesen oder moniert. Allerdings wird immer noch Ausschau gehalten nach einer topqualifizierten Pflegedienstleitung, deren Funktion bis dato stellvertretend Florian Rödiger übernimmt. Johanne Pagel empfindet die Zusammenarbeit der 25 Mitarbeiter als sehr wohltuend, eine familiäre Atmosphäre eben. Ein „Klasse-Team“, meint sie. Die interdisziplinäre Kooperation zwischen Sozialdienst, Pflegedienst, Hauswirtschaft und ehrenamtlichen Helferinnen funktioniert bestens. Auch das positive Feedback der Angehörigen oder die Spendensammlungen für das Hospiz bei Trauerfeiern beweisen, dass das angestrebte Ziel, eine „Wohngemeinschaft“ auf Zeit zu sein, realisiert werden konnte. Zum Konzept der Wohngemeinschaft gehört auch: Es gibt keine festen Tagesabläufe, wie etwa keine festen Essenszeiten. Und das Essen wird nicht von Großküchen angeliefert, sondern im Hospiz „Zum Guten Hirten“ wird täglich frisch gekocht. Daher können die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen individuelle Wünsche und Vorlieben ihrer Gäste berücksichtigen.

    Neun Gäste sind nun regulär auf den Zimmern. Etwa 10 bis 15 stehen auf der Warteliste. Wer aufgenommen werden soll, wird nach Absprache jeweils individuell entschieden. Und wenn der letzte Atemzug getan ist, bleibt der Verstorbene noch einen ganzen Tag in seinem Zimmer, damit sich alle, die es wünschen, in Ruhe und Würde verabschieden können. Der Sarg wird auch nicht in der Dunkelheit und in falscher Diskretion durch einen Hinterausgang herausgetragen. Johannes Stephens sagt: „Die Menschen, die zu uns durch den Haupteingang kommen, verlassen uns auch durch den Haupteingang; begleitet von allen Mitarbeitenden des Hospizes.“ Schließlich gehen wir mit Johannes Stephens noch in den Stille-Raum. Hier haben alle, die es wünschen, Gelegenheit zum Gedenken und Erinnern. Dem interreligiösen Konzept des Hauses entsprechend, das offen ist für alle, für Christen, Muslime oder Andersgläubige, ist dieser Raum ausgestattet. Stilvoll, aber ohne direkte konfessionsbezogene Symbolik.

    Und ganz zum Schluss soll noch vom Geld die Rede sein. Das ist nicht unpassend. Denn der Gedanke des Spendens ist für das Hospiz konstitutiv – Spenden verankern das Projekt in der Gesellschaft, verbinden es mit der Öffentlichkeit, die weiß, dass ein Hospiz in ihrer Nachbarschaft ist. Daher soll in unserem Kultur- und Wirtschaftsmagazin am Ende des Artikels – erstmalig – eine Bankverbindung genannt werden.

    Hospiz Zum Guten Hirten gGmbH
    Sparkasse Rotenburg-Osterholz
    DE34 2415 1235 0075 5928 73
    BRLADE21ROB

    Stichwort: Spende Hospiz und Ihre Anschrift
    Selbstverständlich erstellen wir Ihnen eine Spendenbescheinigung.

    Fotos: Mark Intelmann

    Heribert Eiden
    Heribert Eiden
    Erste Erfahrungen mit der Presse am Gymnasium in seiner Heimat. In der Schülerzeitung berichtet er 1967 u.a. höchst kritisch über eine NPD-Veranstaltung. Nach Studium von Germanistik und Geschichte in Freiburg wird Lehrer und engagiert sich im Theaterfach als Regisseur in Schulen wie im Rotenburger Theater RollenTausch.
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