Kulinarische Geisterfahrer – Kaiser’s

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    Hellwege. „Es war immer schon ein bisschen schräg hier, das wissen die Leute, aber deswegen kommen sie ja auch“, darüber sind sich Wolfgang und Marianne Kaiser von Kaisers Gasthaus in Hellwege im Klaren. So unverblümt die Ansagen von Wolfgang Kaiser, so wenig er bei seinen Gästen ein Blatt vor den Mund nimmt, genauso „yesterday“ ist auch Kaisers Gasthaus. Noch immer umweht den Besucher in der Gaststube der Duft der Jahrhundertwende. Denn viel hat sich seit dem Gründungsjahr 1912 nicht geändert, aber das ist auch so gewollt. Renovierung? Jaa, aber in kleinen Dosen. „Wir machen immer nur ein paar Kleinigkeiten, so dass der Gast es nicht merkt“, so der kochende Gastgeber. Gerade deshalb aber ist das Hellweger Gasthaus auch schon wieder ganz vorne weg. Die noch aus der Zeit der Großeltern stammende dunkelbraune, linoleumähnliche Strukturtapete aus Lincrusta liegt heute wieder absolut im Trend. Und genauso am Puls der Zeit ist Wolfgang Kaiser mit dem im Schwarzwald gebrauten Rothaus-Bier, das sonst nur in Szenekneipen in Berlin, Frankfurt und Hamburg ausgeschenkt wird.

    Auf das stellte er um, als Haake Beck die Pferde abschaffte. Für ihn war das Grund genug, seinem Bremer Bierlieferanten den Rücken zu kehren. Schräg meinte Anfang der 1970-er Jahre zu Zeiten von Mariechen und Adolf, dass Adolf Männer mit langen Haaren in seinem Gasthof nicht bewirtete. Denn lange Haare gingen für den Hellweger Gastwirt bei Männern gar nicht. Steppte zu Zeiten von Adolf Kaiser der Bär in der Gaststätte, stellte der Hellweger Gastwirt auf den Ausschank von Halb-Liter-Gläsern Bier um. „Dann musste er nicht soviel laufen“, ist die Erklärung seines Sohns dazu. Schräg heute bedeutet, dass Wolfgang Kaiser in Kaisers Gasthaus an der Wümme die Regie über die Wochentage hat, und wann Sonntag ist, das bestimmt er. „Denn hier hat man Zeit“, so seine unverblümte Aussage. „Warten ist was Wunderschönes. Alles, was sofort ist, ist nicht schön“, sagt der Hellweger mit Effet.Die gelungene Kombination von gestern und schräg ist der an der Wümme gelegene idyllische Sommergarten. „Es ist ein Naturgarten, das Unkraut soll so sein“, sagen Marianne und Wolfgang Kaiser voller Überzeugung. Zum Sommergarten gehören die Störche dazu, die auf einem elegraphenmast in ihrem Nest sitzen. Mal kommt Addi, mal Berni aus dem Winterquartier nach Hellwege. Ob es in diesem Jahr die Original-Barbara sei, das wissen die Hellweger Gastwirte nicht, weil die Storchendame nicht beringt ist.

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    In dritter Generation führen Marianne und Wolfgang Kaiser das über Hellweges Grenzen für seine Bratkartoffeln und bodenständigen Gerichte bekannte Gasthaus. Als in den Betrieb hineingetrieben bezeichnet Kaiser seinen beruflichen Werdegang. „Du wirst Koch“, hieß es damals. Widerrede und Geschwister gab es nicht, also war der Weg für ihn vorgezeichnet. Im Bremer Lloyd-
Hotel lernte Wolfgang Kaiser das Kochen. Siebenmal kochte er in der Zeit im Lloyd-Hotel Grünkohl für die Schaffermahlzeit. Davon profitieren seine Gäste heute noch, denn in Hellwege wird er nach Schaffermahlzeit-Art gekocht. Seine persönliche Rezeptsammlung hat Kaiser sicher unter Verschluss und im Kopf. Ab und zu aber verrät er daraus mal ein Rezept. „Aber nicht komplett“, sagt er augenzwinkernd. So einfach ist das Nachkochen der Bratkartoffeln sowieso nicht, denn dafür sind nicht nur die Zutaten, sondern auch die richtige Bratpfanne entscheidend. Marianne Kaiser brät jetzt mit der „neuen“. Die ist aber auch schon 20 Jahre alt, entsprechend „eingebrannt“ und mit reichlich Röstaromen belegt. Gußeisern muss sie sein, um die richtige Temperatur zu produzieren und Zeit darf beim Braten der vorgekochten Belanas keine Rolle spielen. Teflon kommt für Marianne Kaiser nicht in die Tüte, Gußeisen muss es sein. Einen Einbrecher könne man mit einer Teflonpfanne ja auch nicht in die Flucht schlagen, so der Koch über deren Nutzlosigkeit.

    Wie in der Gaststube setzen Kaisers auch in der Küche auf Beständigkeit. Ja, es steht schon mal Mousse au chocolat auf der Speisekarte, aber grundsätzlich können die Gäste nur das bekommen, was Wolfgang Kaiser auch isst. Nach einem großmütterlichen Rezept macht er traditionell „Sauerspeck“, eine sehr saure, erfrischende Spezialität, die es nur im Sommer gibt. „Ruf mich an, wenn es das gibt“, geben die Liebhaber der kulinarischen Besonderheit dem Koch mit auf den Weg. 1912 starteten die Großeltern Hoops in Hellwege mit einem alkoholfreien Gasthaus, erst später kam die Konzession für den Ausschank von Alkohol dazu. Schon morgens früh ging damals der Betrieb los, wenn die Polizei ihr Frühstück mit einem Glas Weinbrand einnahm. Einen Ruhetag gab es zu der Zeit nicht, der wurde erst in der zweiten Generation eingeführt. Das ist jetzt anders. „Der Betrieb läuft so gut, dass wir drei Tage zum Regenerieren brauchen“, sagt augenzwinkernd der Koch.
    Anfang der 1970-er Jahre nahm das Gasthaus richtig Fahrt auf. Bis dato gab es nur belegte Brote und ein warmes Gericht am Sonntag. Das war dann auch verantwortlich für die Geburtsstunde der Bratkartoffeln. Denn die übriggebliebenen Sonntagskartoffeln wollte Oma Kaiser nicht wegwerfen. Heute kochen Marianne und Wolfgang säckeweise Kartoffeln.

    Bratkartoffeln gehen immer, zu jeder Jahreszeit und fast in jeder Kombination. Sogar zu Spargel bestellen Kaisers Gäste die mit Speck knusprig gebratene Erdapfelspezialität. Für Wolfgang Kaiser sind das „kulinarische Geisterfahrer“. Aber es freut ihn auch, dass seine Bratkartoffeln solch ein Ruf vorauseilt. „Wir geben uns verflucht viel Mühe.“ Noch bis 1994 wurden die Bratkartoffeln in der an die Gaststube angrenzenden kleinen Küche über offenem Feuer gebraten. Jetzt haben Marianne und Wolfgang auf Gas umgestellt, das Röstaroma aus der Pfanne aber ist geblieben. Wie in früheren Zeiten darf der Gast Bratkartoffeln nachbestellen. Nur wer es übertreibt, der muss mit Wolfgang Kaiser rechnen.

    Mitte der Saison ist Marianne Kaiser mit dem Spargelschäler so fix, dass sie ein Kilogramm Spargel in einer Minute schält. Auch das ist Kaisers Gasthaus, denn alles wird hier frisch zubereitet und gekocht. Auf die Schnelle schält sie für jeden Gast eine Portion Hellweger Spargel. Von einem Franzosen lernte Kaiser das Räuchern und Beizen von Lachs. Diese Spezialität des Hauses gibt es nur zu Ostern. Serviert wird er mit hausgemachten, frisch geriebenen Kartoffelpuffern und Kräuterquark. Alles handgemacht und alles zu seiner Zeit. Was Langeweile ist, das weiß Marianne Kaiser nicht, Hände in den Schoß legen, ist nicht ihre Sache. Und deswegen hat sie als ihr Steckenpferd „aus Kaisers Küche“ Apfelchutney, Fruchtsoßen, Kaisers Glühbirne, einem Heißgetränk aus Birnensaft und Wein, Erdbeersoße und Erdbeerchutney zum Mitnehmen entwickelt. Auf ein ganz anderes Hobby setzt Wolfgang Kaiser zur Entspannung. Er hat hinter dem Haus seinen ganz eigenen Landeplatz, von dem seine selbst entwickelten und gebauten Flugmodelle starten. „Kunststofftechniker mit Kochkenntnissen“ nennt er sich. In der Veteranenecke oberhalb der Lincrusta-Tapete hängen Bilder der Bremer Fritz-Dynastie, von Porno-Hans und der Familie Borgward. Die alle waren Gäste des Hauses. Und dann gab es noch die Prominentenecke. Hier verewigten sich Prominente und die, die sich dafür hielten mit ihrem Friedrich-Wilhelm auf der Tapete. So aber nicht mit Wolfgang und Marianne Kaiser. Die Tapete wurde übertapeziert, jetzt hängen hier Bilder von Erika Pluhar, Patrick Fichte und Monty Roberts. Und in das Gästebuch lässt Kaiser Hans und Franz sich nicht eintragen, das liegt wie die Wochentage fest in seiner Hand und wird nur für besondere Leute geöffnet. „Nichts riecht so gut wie der Mensch, den man am meisten liebt – außer Bratkartoffeln.“ Marianne Kaiser geht mit dem von einem unbekannten Autor kreierten Spruch und der dem Original vermutlich von einem Bratkartoffelliebhaber angefügten Ergänzung absolut konform. Sie isst ihre Bratkartoffeln immer noch mit Genuss. Aus wenig Zutaten den guten Geschmack herausholen, das ist ihre Art des Kochens. Während der ganz normalen Öffnungszeiten gibt es für das Helllweger Gastwirtsehepaar keine geregelten Mahlzeiten. Und auch im Urlaub bevorzugen sie die einfache, ehrliche Küche, eben wie zuhause.

    Fotos: Mark Intelmann

    Sabine von der Decken
    Sabine von der Decken
    Geboren 1957 in Nordrhein-Westfalen, Studium der Diplom-Biologie in Bremen und Oldenburg. Seit mehr als 20 Jahren freie Mitarbeiterin Weser Kurier Bremen, arbeitet zudem für Fachmagazine wie Land und Forst und Gartenbauprofi.
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