Madame Orange und Ihre süßen Phantasien

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    Scheeßel. Sie wohnt nicht in einem Zuckerpuppenhaus aus Himbeerjoghurt wie im Wintermärchen-Wunderland, mit Schokolade an den Wänden, Biskuitrollen unter dem Mobiliar, Marzipankugeln im Fenster und mit ordentlich Schlagsahne oben auf dem Dachfirst, wie man vielleicht annehmen könnte. Nein, alles ganz normal. Kein sonderlich aufgehübschter Vorgarten, ein unaufgeräumtes Büro und dahinter eine Küche, die an diesem frühen Morgen noch auf Frau Saubermann wartet. Hier, wo die Hausfrau und Mutter – zwei Töchter – ihren kreativen Geist versprüht, dürften gestern viele Eier in der Schüssel getanzt, und die Butterstücke sich Platz geschaffen haben für geschmacklich aufregende Arrangements. Küchenschlacht im Hause Kahnt. Kommt öfter vor. Wen stört es da, wenn jetzt wieder alles zurechtgerückt werden muss? Alle Welt kennt die Frau mit dem blonden, mittellangen Haar und der markanten, breitgeränderten Brille inzwischen, zumindest aber diejenigen, die gerne naschen und auch sonst mit reichlich Süßigkeiten auf du und du stehen. Und das sind Millionen von Menschen. 

    Brutzeln: die Nase voll. Vor vier Jahren war sie gar Gast bei SAT 1, sah Fernsehen von Innen heraus, legte sich für elf Tage vollends ins Zeug, avancierte zum Telestar, weil sie sich fortan mit dem Titel „Deutschlands bester Hobbybäcker“ schmücken durfte. Wer kann das schon? Dabei fing für Heike Kahnt ihr „süßes Leben“ damit an, dass ihr Schnitzel & Konsorten gewissermaßen den Appetit verdarben, es für sie, der gelernten Köchin, stink- langweilig wurde, weiterhin die Pfanne zu schwenken, das Fettige darin zu riechen, das Brutzeln zu hören. „Ich hatte damals buchstäblich die Nase voll davon“, erinnert sich die 50-jährige, die in Scheeßel aufwuchs, in Buchholz das Handwerk Kochen in sich aufnahm, um dann sozusagen anfing kulinarisch durchs Land zu wandern: Braunlage, Liliental, Köln, ein Flecken an der Ostsee, Bremen und Ganderkesee. Die Karriereleiter endete als Küchenchefin mit 12-Stunden-Job, eine „Knochenmühle“, wie Heike Kahnt heute resümiert. Die Sonne des Lebens ging buchstäblich für sie auf Gran Canaria auf. „Ich hab´ meinem Chef damals gesagt, ich hau´ jetzt mal ab. Er wollte nicht. Ich aber“. Nach drei Jahren Küchen-Ramba-Zamba empfand Heike Kahnt die Sonneninsel als das einzig probate Mittel für eine, für ihre gedeihliche Lebensgestaltung. „Wissen Sie, ich hatte bis dato noch nicht ernsthaft über mein Leben nachgedacht. Aber jetzt und hier war es soweit.“ Rückblick im Klartext. Ihren Mann lernte sie während dieser Auszeit kurzerhand gleich mit kennen. Heirat gefällig? Was sonst!

    Betty’s Inspiration. Und das mit der Küche? Sie tingelte mal wieder von Herd zu Herd, bis – das war vor 13 Jahren – ihr sozusagen „Betty´s Sugar Dreams“ in die Nase stiegen. Jene Motivtorten erspähte Heike Kahnt beim Besuch einer Food- und Dekomesse in Hamburg und vor allem lernte sie an Ort und Stelle Bettina Schliephake-Burchardt kennen, ihr Spiritus für das, wann nunmehr kommen sollte. „Ja“, strahlt die Scheeßelerin heute noch in allen Facetten des Lächelns über ihr sympathisches Gesicht, „ja, die Betty, die hat mich auf den Trichter gebracht.“ Die Inspiration hatte gefunkt, die Bombe Backen war gezündet, das Tortenleben der Heike Kahnt nahm ihren unaufhörlichen Lauf. Via Internet zunächst, dann in Workshops in Köln mit bis zu 500 Gleichgesinnten. Backen war (ist) in! Und Heike Kahnt mittendrin. „Ich träumte damals von einer Bar, einem eigenen Lokal“, erzählt sie. Wäre eine ihrer Nichten nicht auf die hehre Idee gekommen, die „liebe Tante“ beim Fernsehen „einzuhacken“, wäre es womöglich so gekommen. Die Fernsehfritzen in Berlin waren jedenfalls sogleich zur Stelle und die „gute Betty“ half der noch zurückhaltenden, backenden Enthusiastin letztendlich auf die Sprünge: „Mach das bloß!“ Und wie sie machte! Eine verrückte Sache: Sie „bastelte“ einen Kuchen und nahm ihn, quasi als Bewerbung, mit nach Berlin zum Casting. Mehr als futuristisch: gelbe Gummistiefel mit Maulwurfshügeln. Auf die Idee muss man erst einmal kommen. An der Spree, „am heißen Wochenende“, so Heike Kahnt, durften dann 40 Beflissene ihre „Kunststücke“ präsentieren und zum Backen bekamen zehn Kandidaten den Vorzug. Zum großen Showdown kam es dann wenig später an gleicher Stätte in Berlin: Finale grande, „das große Backen“. Elf Tage und das für mehrere Stunden täglich durften die Auserwählten ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Heike Kahnt erinnert sich: „Das waren mehrere Kategorien von Kuchen, die ich da erstellt habe. Jedenfalls war das harte Arbeit.“ Die sich schlussendlich als neue „Tortenkönigin“ für sie auszahlte.

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    Eine Torte für die Karibik. Und, was ist vom Fernsehruhm geblieben? Viel, um nicht zu sagen existentiell Entscheidendes, denn sie ist zum Markenzeichen dieses „Handwerks mit Kunst“ avanciert: „Madame Orange“ lautet gewissermaßen das Plädoyer ihrer „Lebensfreude“, die sie durch ihre Arbeit bescheren möchte, wie sie eindringlich vermittelt. Wie kommt man denn auf diese schmückende, wenngleich nicht minder doppeldeutige Titulierung? „Ach, das hat sich irgendwann so ergeben“, läßt Heike Kahnt durchblicken. Befreundete Kolleginnen hatten wohl diesen Erfindergeist und legten ihr nahe, fortan sich mit dieser prickelnden wie ebenso einladenden Bezeichnung durch das „süße Leben“ zu bewegen. Und wie sie backt! Allein 60 Torten sind es, die sich pro Jahr Vermählende für die „schönsten Stunden des Lebens“ wünschen. So wie neulich. Da tauchte unvermittelt eine Familie aus dem Rheinland in ihrem Heim in der Veerser Straße in Scheeßel auf, um eine Torte zu bestellen. ein Sonderstück, 20 Kilogramm schwer und 50 Zentimeter hoch. Das modellierte Werk tritt mit dem 12. März 2018 eine weite Reise an. In karibischen Gefilden auf dem Hochseeschiffer Aida werden das Hochzeitspaar und seine Gäste an „Madame Orange“ und ihrem „guten Stück“ sich wohl herzhaft erfreuen dürfen können. Für so ein Schmuckstück benötigt seine Herstellerin keine Ewigkeit, aber zehn bis 12 Stunden nimmt sie sich Zeit, um ihrer süßen Kost auch den letzten Schliff zu verpassen. Die letzte Garnitur, hier ein Detail und dort etwas Markantes, nimmt sie am Abend zuvor vor. Dann geht´s über Nacht in den Kühlschrank. „Keine Torte“, betont Heike Kahnt, „verlässt ohne mich das Haus“. Der Kunde kommt, der Kunde erhält –alles aus ihren eigenen Händen. Da ist sie offenbar eigen, da ist sie auf Achse. „Ich nehme mir diese Zeit, die Leute so zu bedienen. Sie wollen schließlich von mir etwas Besonderes haben. Und sie kriegen es auch“, definiert sie ihre Maxime.

    Mit Bagger und Pferden. So wie die Firma Atlas von der Wehl, die Nachbarn aus Lauenbrück. Allerdings fiel Heike Kahnt bei deren Kunstwerk das Motiv nicht schwer: oben auf der Torte thronte, na, was wohl, natürlich ein Bagger. Für eine Dressur-Reiterin gestaltete sie gerade zu deren rundem Geburtstag, nein, keinen Pferdestall, aber einen runden Parcours mit ihren „Helden“ darin fixiert. Außergewöhnliches spielt im Teig-, Butter-Schokoladen-, Marzipan-, Zucker-, Sahne- und Früchteleben der Heike Kahnt den alles entscheidenden Part. Den, auf den es ankommt, denn die Rohstoffe „müssen gut sein“. Und: auf die Dosis kommt es an. Vornehmlich beim Zuckern. „Mir ist es wichtig, wenn die Leute konstatieren und sagen: ich habe was gegessen, was mich zufrieden macht“. Ihr backendes Leitbild: Lieber ein „vernünftiges Stück“ vom großen oder auch kleinen Kuchen! Diese geschmackliche Präsenz und kontrollierende Orientierung erledigt sich dadurch, indem „Madame“ alles „abschmeckt, bis ich davon satt bin“. Und dabei lacht sie um die Wette und denkt an die Hackfleischbrötchen des Abends. Nach süß kommt sauer oder sowas Ähnliches!

    Fotos: Thomas Kusch

    Hans Richelshagen
    Hans Richelshagen
    Artikel von Hans Richelshagen erschienen von 2017 bis 2018 in der STARK.
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