Neues Format – Festival Heimatgenuss – Livemusik, Kulinarik und Mitmachstände für Familien

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    Rotenburg. Sorry, aber: Wer plant denn bitte mitten in der Pandemie, der Hochzeit der kulturell toten Hose, ein Festival, auch noch für alle möglichen Zielgruppen, ohne Eintritt und das als ganz neues Format? Benjamin Roolfs, Leiter der Tourist-Info Rotenburg, grinst. Schon lange hatten er und seine Mitstreiterinnen Ilona Haas und Vera Servatius von einer neuen Veranstaltung geträumt und gesponnen, nachdem andere traditionelle Formate wie Kartoffelmarkt und Weißes Dinner Geschichte waren. Und fast ein bisschen trotzig, entgegen allen Trends und Prognosen, haben die drei mit vielen anderen Kreativen, die mit Input und Passion an Bord waren, eine kleine Welt auf Zeit aufgebaut, die nach der langen Abstinenz ein bisschen an das stolze gallische Dorf der Asterix-Hefte erinnert.

    Was natürlich auch am Ambiente des Heimatmuseums liegt, dessen Gelände nach der illuminierten Nacht erstmals so richtig in Szene gesetzt wird. „Ein ideales Gelände, mit viel Platz, vielen Ecken zum Verweilen und dem richtigen Ambiente für Aufenthaltsqualität“, schwärmt Roolfs. Denn: Remmidemmi erteilt der erste „Heimatgenuss“ am letzten Mai-Wochenende eine Absage, etwas gediegener darf es schon zugehen, nicht nur bei der Kulinarik. Pommes rot-weiß sucht der Besucher vergebens, stattdessen gibt’s Rosmarinkartoffeln von der Feldküche mit Pfeffer frisch aus dem Mörser, Forelle aus dem Smoker und auf der Chai Latte schwebt ein Hauch Fernost.

    Und auch die Kunsthandwerker atmen Klasse statt Masse. Die Drechsler aus Schneverdingen mit Holzringen aus Amarant- und Birnenholz präsentieren ihre Werke erst zum zweiten Mal in der Öffentlichkeit, der Stand mit Nespresso-Kapseln zu Kunstwerken vom Gartenstecker bis zum Lampenschirm zeigt: Nachhaltigkeit kann auch stylish sein. 640 Stück des metallicfarbigen Schrotts in einem Lampenschirm – da sollte auch dem letzten Konsumenten ein Licht aufgehen. Roolfs konnte kaum fassen, wie viele Kunsthandwerker spontan zusagten: „Zunächst haben wir einige angesprochen“. Tipps dafür gab‘s vom Ahauser Herbst und dem Scheeßeler Mühlenverein. Schon bald rollte die Lawine der Mundpropaganda.

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    Das Wagnis eines neuen Formates schreckte die meisten der nunmehr 80 Anbieter nicht. Ein Kunsthandwerkermarkt sei immer ein Risiko, meinen der Münzschneider und der Lampenschirmbauer unisono, besonders am Monatsende; sie überzeugte vor allem das Ambiente und der Kontakt mit den Besuchern. Antje und Anja Doil von „Ein Stück vom Glück“ (die beiden Schwestern vom Rotenburger Unverpackt-Laden kommen mit dem Rad – Regionalität ist Trumpf) geben den Besuchern beim gemeinsamen Herstellen wiederverwendbarer Einwickelfolien ein kleines Stück Nachhaltigkeit mit auf den Weg. Stoffreste und Sheabutter statt Alufolie, und das sogar gratis. Beim Bügeln kommt man ins Gespräch, Berührungsängste schmelzen schneller als die Bienenwachspellets unter dem Plätteisen.

    Wer angesichts des Angebots von geschmiedeten Messern, Seilerei und Stelzenlauf vor lauter Nachhaltigkeit, Regionalität und Gediegenheit an einen Mittelaltermarkt mit Öko-Touch denkt, irrt: Der „Barde“, der am Sonntag für die Kinder singt, heißt Volker Rosin und die Bands, die am Samstag die Wiese aufmischen, sind nicht eben von gestern. Für Razz, die (am Samstag) gegen Mitternacht den Abend auf der Bühne beschließen, warten die Fans sogar im einsetzenden Regen. Schon vorher haben bei den Openern Leepa aus Berlin und den Reggae-Recken I-Fire Hipster neben Familien und Bewohnern der Werke getanzt. Inklusion statt all inclusive, das wird im Wümmeort gelebt. Niemanden auszugrenzen und alle mit an Bord zu holen, auch Besucher, die gerade heute finanziell nicht gut gestellt sind, war Roolfs wichtig – Sponsoren machen‘s möglich.

    Was macht aber den Charme vom „Heimatgenuss“ aus? Mit den Zutaten Livemusik, Kulinarik und Mitmachstände für Familien wurde das Rad nicht gerade neu erfunden. Ist es die sorgfältige Auswahl der Programmpunkte vom Poetry Slam über Spiegel-Bestsellerlesung bis zu perligen Seifenblasen und Kettensägenkunst, sind es die von kleinen Festivals abgeguckten Details wie Kreide-Wegweiser und XL-Lettern (auch der städtische Bauhof hat seinen Teil beigetragen und wurde mit Holz und Kreidelack kreativ)? Ist es die Deko mit Regenschirm-Allee und Lampions im Bauerngarten oder die Online-Werbetrommel mit großer Präsenz in den Sozialen Medien? Roolfs‘ 15 Jahre Erfahrung in Marktforschung und Marketing mit Schwerpunkt auf Verhaltensforschung und Lebensstil machen sich bemerkbar.

    Den Zeitgeist im Blick, mehr Aufenthaltsqualität, nicht von der Stange, grüner (passend zur Wanderregion, für die sich die Region einen Namen gemacht hat), das waren einige der Kriterien. „Wir wussten im Team, wo wir hinwollten“, meint der Marketingprofi retrospektiv. Vieles habe sich aber auch ergeben: „Wir hatten viele Ideengeber, das war wie eine Zündschnur“. Und es sollte ein „Festival für alle“ sein, „auch wenn das nicht unbedingt im Trend ist“. Das scheint einen Nerv getroffen zu haben: „Mit so vielen Zusagen für ein noch unbekanntes Format und in diesen Zeiten hatten wir gar nicht gerechnet“, meint Roolfs mit Blick auf mehr als 80 Stände und 20 Mitmachangebote.

    Dabei packten nicht nur die Sponsoren, sondern auch beteiligte Vereine mit an; die einen finanziell wie Sparkasse, Stadtwerke und Kulturförderung der Stadt, die anderen mit kreativen Ideen: Das Familiennetzwerk Simbav stampfte einen Bobbycar-Parcours aus dem Boden, das „Unikat“ der Rotenburger Werke steuerte einen Fühlparcours bei, vor dem Heimathausgelände erleben alte Spiele wie Stelzenlaufen und Dosenwerfen eine Renaissance und zeigen: Es geht auch ohne Hüpfburg.

    Der Vertrauensvorschuss, den alle Beteiligten, von den vielen kreativen Köpfen in der Planung über Vereine und Handwerker dem „Heimatgenuss“ eingeräumt hatten – ist er eingelöst, die schlaflosen Nächte und zahllosen Blicke auf die Wetter-App, haben sie sich gelohnt? Roolfs hält am Sonntagnachmittag über seinem Frankfurter Kranz-Törtchen aus dem Ofen von Fernseh-Bäckerin Madame Orange inne und grinst, wie so oft; dieses Mal zwar erschöpft, aber schon deutlich entspannt und ein bisschen stolz.

    Fotos: Mark Intelmann

    Jan-Patrick Neumann
    Jan-Patrick Neumann
    Geschichte(n) schreiben: Nach einiger Zeit wieder zurück im hohen Norden, brennt der bekennende Verfechter des Lokaljournalismus für alles, was das Leben reicher macht: Kultur, Musik, spannende Regionalthemen und Menschen, die Geschichten zu erzählen haben – kleine wie große.
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