Und dieser Mann sitzt nun in unserer Runde. Der Name „Schiller“ – wo kommt der her? Die Frage drängt sich auf. „Es hat da zu passender Gelegenheit so einen Song gegeben“, meint er, „er war nicht bedeutend“. Aber die tragende Melodie erinnerte an ein Glockenspiel und da war es zu „Schiller“ nicht weit. Und angesichts des herrschenden Trends zu englischen Namen sei zur Abgrenzung dringend ein urdeutscher nötig gewesen. „Hätte ich allerdings gewusst, dass sich die Dinge so entwickeln würden, hätte ich mir den „Schiller“ nicht getraut.“ Christopher von Deylen kam eher zufällig zu elektronischer Musik. Er erzählt uns begeistert von Bertram Stiegeler, Musiklehrer an der Außenstelle der Kreismusikschule in Visselhövede, der sich einen Synthesizer gegönnt hatte. „Klassisches Klavierspiel war ja nicht so meine Sache“, meint er, „aber in einem Nebensatz habe ich von diesem Synthesizer erfahren.“ Den habe er, damals 14jährig, probieren dürfen. Wenn Bertram Stiegeler am Nachmittag in der Musikschule war, lag der Hausschlüssel fortan unter der Fußmatte. Der Mate-Tee stand für ihn bereit und er konnte sich dem Instrument widmen. Gemeinsam erfreuen wir uns an dem Vertrauen dieses Lehrers in seinen Schüler und von Deylen stellt mit dankbarem Gesicht klar, dass dieser Umstand maßgeblich zu seinem Erfolg beigetragen hat. “Über all das habe ich lange nicht geredet”, stellt er fest – und das ist auch für alle Beteiligten deutlich zu spüren gewesen.
Nach dem Abitur ging es für Christopher von Deylen nach Lüneburg, Hamburg, Berlin. Er lebte etliche Jahre in den USA, reiste auf dem Forschungsschiff „Polarstern“, arbeitete in der Wüste und besuchte Peking – um nur einige Orte zu nennen. Er hat so manches gesehen von der Welt. „Es ist nie darum gegangen, bewusst hier wegzugehen“, so versichert er. Es stand nur an, Kulturwissenschaften zu studieren und dann mit der Arbeit an der Musik weiterzuziehen. Die „trügerische Sicherheit des Bekannten“ hätte ihn kaum dort hin gebracht, wo er jetzt sei, stellt der Musiker fest, „denn Reisen bildet und ermöglicht Kreativität – wer reist, erfährt über sich ganz viel“. „Die Muse ist extrem launisch“.Das heißt nun keinesfalls, dass man sich nur aufmachen müsse und dann würden die Einfälle nur so purzeln, erklärt er, Dinge passieren, wenn man etwas macht. Da ist „kein Sound im Kopf“, den man nur noch aufschreiben muss. Es ist berührend, wie „Schiller“ nach treffenden Worten sucht. Wir führen kein gewöhnliches Interview, sondern ein tiefsinniges Gespräch und erfahren etwas, das nicht bei Wikipedia steht. „Auch Gefühle anderer Menschen und das normale Leben sind für mich inspirierend.“ Im Café sitzen und nachspüren, was Umsitzende empfinden könnten. Quasi als „Raubritter der Emotionen“, wie von Deylen es schmunzelnd ausdrückt.
Im Wesentlichen entsteht „Schillers“ Musik aus Arbeit. Aus Versuch und Irrtum und Entscheidungen. Wobei er letztlich nie genau weiß, ob das so großartig ist, was da aktuell entsteht: „Es fühlt sich immer wieder wie ein Wagnis an, der Welt das zu präsentieren, was ich in meinem Kämmerlein erschaffen habe.“ Es ist ein sympathischer Mensch, der sich uns unprätentiös öffnet. Die Autorin kennt ihn aus der Schulzeit am Ratsgymnasium – inklusive des von ihm kreierten, eingängigsten Abi-Liedes überhaupt – und ist daher nicht gar zu überrascht, aber wie Erfolg mitunter Menschen verändert, ist ja bekannt. Die Musik, die Bühne – das ist das Leben, das Christopher von Deylen sich ausgesucht hat. Es steht nun wieder eine Konzert-Reise an, das 11. Album, „Morgenstund“ wird veröffentlicht. Aus dem beschaulichen Visselhövede geht es sechs Wochen auf engstem Raum im Tour-Bus durch Deutschland. „Wir verzichten während dieser Zeit auf unsere Privatsphäre und unser Privat-Leben,“ so erzählt er locker als wäre das keine große Sache. Er möge dann nicht mal in den Supermarkt gehen und alltägliche Dinge besorgen und eine Tageszeitung stellte eine schwer erträgliche „Invasion von außen“ dar. „Ich lebe während dieser Zeit nur für die zwei Stunden des Konzerts“, für den Rest des Tages müssten Nichtigkeiten herhalten. „Aber ich liebe das“, sagt er.
Der Musiker wird öfter nach seinem Erfolgsrezept befragt. „Gehe deinen Weg, gib niemals auf, arbeite!“, rät er dann. Und man soll zusehen, sich nicht zur Marketing-Figur degradieren zu lassen. Selbstbestimmung ist ihm wichtig, das ist hier deutlich zu spüren, sein Ding zu machen und sich nicht zu verkaufen. Ob er sich vom Publikum beeinflussen lasse? Hochgezogene Augenbrauen bei „Schiller“: Ganz bestimmt nicht – „ich bin ja kein Pizza-Service“. Wo soll‘s denn hingehen? Musikalisch ist die Sache klar. Von Deylen freut sich über seinen Weg und will ihn weiter gehen, sagt er. Den Wunsch, „besser zu sein, als heute, den hab ich schon – perfektionistisch veranlagt bin ich aber nicht“! Physikalisch ist die Frage spannend, denn momentan lebt Christopher von Deylen aus zwei Koffern: „Zur Maximierung des Freiheitsgefühls“, wie er sagt. Mal wohnt er hier und mal dort. Immer wieder auch in Visselhövede, seiner alten und gefühlten neuen Heimatstadt. Er hat dort seine Kindheit und Jugend verbracht und sei immer gern dort gewesen. Seine Schuhe fühlten sich „schwer wie Blei“ an bei dem Gedanken, dass er wieder gehen soll. Sobald er unterwegs sei, meint er lachend, könne er dies aber voll und ganz genießen. Kein Grund zur Besorgnis also.