Beim Hurricane ist der ehemalige Wohlsdorfer als dritter Produktionsleiter gebucht, beim Rock im Park als Stage Manager, beim Highfield als Bühnenmeister, in Wacken gar als Produktionsleiter für alle Bühnen und den Innenbereich. Ein Ritterschlag, der ihn mit Stolz erfüllt – aber auch mit Respekt, trägt er doch indirekt die Verantwortung für mehrere tausend Mitarbeiter der beteiligten Firmen und ein Budget von vielen Millionen Euro. Die Festivalbranche: ein knallhartes Business. Neben der Sicherheit von Mitarbeitern und Besuchern steht das Geld im Vordergrund: „Muss es auch, sonst würde keiner mehr so große Festivals aufziehen“, weiß Göttert. Die Tage des Rock’n’Roll, sie sind vorbei. An die Stelle von Hemdsärmeligkeit und Improvisationstalent sind feste Strukturen und Abläufe getreten.
Nicht erst seit Corona und der Erkenntnis, wie schnell Einzelne ausfallen können, müssen alle Vorgänge dokumentiert werden, damit notfalls jemand anders übernehmen kann. Das bedeutet: Mehr Zeit am Schreibtisch – für Göttert geht das trotzdem klar, heißt es doch auch, dass im Fall einer Krise auf Listen zurückgegriffen werden kann, die abgearbeitet werden. Und die sind bei jedem Festival ein wenig anders. Nicht nur wegen der unterschiedlichen Gegebenheiten – beim „Rock im Park“ in der Nürnberger Innenstadt zum Beispiel, da spielt der Lärmaspekt eine vordringliche Rolle, bei anderen Festivals eher das Gelände oder – wie beim Hurricane – die Verkehrsanbindung. „Die Entscheidungen treffen andere; ich bin Dienstleister und setze sie im Rahmen des Kostenbudgets so gut wie möglich um – und das ist auch in Ordnung so.“
Mit Hierarchien hat der zweifache Familienvater keine Probleme – auf Titel wie „Head of“ kommt es ihm nicht an. Ein gelungenes Festival, das sei vor allem eine Teamleistung, „da wird der Produktionsleiter genauso gebraucht wie die Leute, die die Zäune aufstellen.“ Wer hier arbeitet, für den sind Festivals mehr als ein Job, sie identifizieren sich mit dem, was sie tun, und das vom Produktionsmanager bis zur Stagehand. Auch sie fragt er zu bestimmten Themen nach ihrer Meinung; statt anzuordnen überzeugt er. „Zu viele Leitungspositionen sind mit Alphatieren besetzt“, findet der Mann der zumeist leisen Töne, dem es auch darum geht, dass sich die Mitarbeiter wohlfühlen.
Wenn Göttert über Mitarbeiterwohl spricht, über gewandelte Rollen nach der Pandemie („früher wurde rausgeschmissen, wer nicht funktionierte, heute sind so viele in andere Jobs mit besserer Bezahlung oder Rahmenbedingungen gewechselt, dass es schwer ist, die Crew überhaupt voll zu bekommen“), dann klingt das nach einer besonnenen Führungskraft, nach einem, der aus Erfahrungen gelernt hat. Pragmatismus statt Perfektion – das war nicht immer so. Auch das war ein Lernprozess: Auch auf sich selbst achtzugeben, sich nicht zu verschleißen, wie so viele andere vor ihm, die mit 50 körperliche Wracks sind oder an einem Herzinfarkt gestorben. Gleichwohl ist der geerdete Familienvater ein Freund klarer Worte. Sein Rausschmiss von Comedian Oliver Pocher, der sich im Herbst bei einer Strandkorbtournee dem Hygienekonzept widersetzte, schlug mediale Wellen; es hagelte nicht nur angenehme Reaktionen von Fans.
Dennoch: „Das würde ich immer wieder so machen – einfach, weil es die richtige Entscheidung war!“ Den Ruf eines gesetzestreuen Spießers nimmt er gern in Kauf: „Ohne Gesetze funktioniert die Gesellschaft nicht, wem sie nicht passen, der sollte Politiker werden, um sie zu ändern!“ Ebenso zieht der ehemalige Tourbegleiter von Adoro und Stefanie Heinzmann für sich eine klare Linie, welche Aufträge er annimmt und welche nicht. Die musikalische Ausrichtung spielt dabei keine Rolle – eine bestimmte politische allerdings schon. Bands aus dem rechten Spektrum bereitet er keine Bühne: „Das ist eine Sache des Anstands!“ Klare Kante – vielleicht auch deshalb wird er in Fachkreisen geschätzt.
Fakt ist: Seit der Bassist der Band „Golfkarton“ schon in Jugendtagen feststellte, dass er viel lieber am Lichtpult stand als auf der Bühne, machte er seinen Weg: Zunächst in der Scheeßeler Eichenschule bei unzähligen Theaterproduktionen mit entsprechenden Unterrichtsfehlzeiten – seitdem weiß er, dass Schulnoten eben nicht alles sind. Auf eine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker folgten erste selbstständige Einsätze. Ein eher zufälliges Treffen mit Ossi Ostendorf 2010, in der Branche die „Legende der Backliner“, der seine Band mit günstigem Equipmentverleih unterstützt und ihn zu dem ein oder anderen Job mitgenommen hatte, sollte schicksalhaft sein: Gerade war jemand für die Betreuung eines Gigs der Hermes House Band in Gronau ausgefallen – Göttert durfte einspringen. Ab da ging es langsam, aber stetig bergauf: die ersten größeren Konzerte, Touren und Festivals, die logistische Begleitung der ersten Metal-Cruise und immer wieder Wacken.
Daneben möchte er jedoch auch die lokalen Engagements nicht missen: den Scheeßel-Tag, die illuminierte Nacht, Konzerte im Autohaus. Die regelmäßigen Engagements im Syker Theater übernimmt er nicht nur gern – für ihn ist das auch Nachwuchsarbeit, eine Verpflichtung, etwas zurückzugeben. Genau wie die Unterstützung örtlicher ehrenamtlich Kulturschaffender. Früher empfand er Pro-Bono-Einsätze als Wettbewerbsverzerrung. Heute sieht er das anders: „Wenn ich der Einzige bin, der an diesem Abend bezahlt wird, kann ich da auch mal Plus-Minus-Null rausgehen.“
Auch hier legt er höchste Ansprüche an sich selbst und seine Arbeit, ganz gleich, ob ein Amateur oder ein Profi auf der Bühne steht: „Wer seine Freizeit hier für die Kultur opfert, darf auch erwarten, dass ich mich voll reinhänge!“ Etwa bei der legendären Maisfeldfete bei Westeresch, bei der einige Jahre lang mehrere tausend Partygänger auf mehreren Floors im Mais die Nacht zum Tag machten: „Das konnte sich in Punkto Professionalität und Organisation mit jedem Festival messen“, ist Göttert überzeugt. Wie er die Balance findet zwischen den großen Acts, Touren und den kleinen, heimischen Engagements? Das jungenhafte Grinsen spricht Bände: „Die findet der Terminkalender von alleine.“ Bis September sind nur noch zwei Tage frei; die langen „To-do“-Listen sind zwischen Handy, Tablet und Laptop synchronisiert.
Bis die Festivalsaison beginnt, ist der Tagesplan gefüllt mit Telefonaten und Videokonferenzen; täglich trudeln bis zu dreistellige Zahlen an Mails ein. Logistik, Sanitär, Stromversorgung und Gastrostände, veränderte Flächen und Behördenauflagen – dies alles erfordert eine minutiöse Planung. Dabei kommt es nicht darauf an, von allem Ahnung zu haben, sondern den Überblick. Als Kommunikator versteht sich einer, der gar nicht unbedingt Menschen um sich braucht – „aber im Team erreicht man mehr, besonders, wenn es sich wohlfühlt!“ Und noch etwas hat er von seinen Lehrmeistern beherzigt: „Delegiere nie etwas, was du nicht selbst schon mal gemacht hast!“ Als ein Dixiklo nach einem Festival nicht abgefahren werden konnte, weil der Zuständige nicht alle, nennen wir sie mal „Festrückstände“ ordentlich abgepumpt hatte, legte Göttert zur allgemeinen Verwunderung selbst Hand (oder besser: Handschuh) an – „das hätte ich keiner Hilfskraft zumuten können!“
Für sein damaliges Traumangebot, nämlich Deep Purple nach Georgien zu begleiten, überwand er sogar seine Flugangst. „Der kleine Junge aus Wohlsdorf, der in Tiflis die Gitarre stimmt, auf der dann ‚Smoke on the Water‘ gespielt wird – das war schon ganz schön surreal.“ Klingt nach wie vor nach einem Traumberuf? „Schon lange nicht mehr. Die Branche hat sich gewandelt, der finanzielle Druck ist zu spüren.“ Veranstaltungen mit den Geldern aus 2019 gekauften Tickets, aber den Kosten von 2022 durchzuziehen – das sei schwierig. Eine Akzeptanz für exorbitant teure Tickets kann er sich in der Zukunft aber nur schwer vorstellen. Wohin sich die Branche entwickelt? Auch er weiß es nicht. Schon zu Beginn der Pandemie hatte der Mann, der im Overall mit Leuchtstreifen am Holztisch seinen Tee trinkt, einen Umbruch in der Branche vorausgesagt – und Recht behalten. Unken liegt dem nachdenklichen Zweckoptimisten jedoch fern: „Es wird nicht schlechter, nur anders.“
Fotos: Mark Intelmann