Windräder – Herr über 279 Flügel

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    Alfstedt. Horst Mangels über Naturschutz, Seeadler und Räder der ersten Stunde. Es ist hoch, richtig richtig hoch. 140 Meter, mehr als 500 Sprossen, sieben Minuten Fahrt mit dem Aufzug, jede Menge Höhenangst und Mut liegen zwischen dem Fuß der Windkraftanlage und dem Blick über die Nabe in die Weite von Lauenbrück. Für Horst Mangels, seines Zeichens Windmüller, ist das nichts Besonderes, sondern sein täglich Brot. Mal eben auf ein Windrad zu klettern, gehört eigentlich zum Berufsbild des Windmüllers. Für Horst Mangels aber ist es mittlerweile selten geworden, denn als Betreiber von 93 Anlagen sitzt er die meiste Zeit am Schreibtisch oder im Auto. Allein 54 seiner 93 Windkraftanlagen liegen im Landkreis Rotenburg.

    Seine erste Anlage in Alfstedt, dem nördlichsten Dorf des Landkreises Rotenburg, nannte er Ilse und Erich, denn die brachten als Nachbarn zur Einweihung Butterkuchen vorbei. Das war 1994, seitdem haben Horst Mangels Windkraftanlagen nur noch mehrstellige Seriennummern. Aber den allermeisten kann er Ort und Anlage trotzdem noch zuordnen. Von Alfstedt aus „tummelte“ er sich im Laufe der Jahre durch den gesamten Landkreis und versorgt nun auch die Landkreise Cuxhaven, Osterholz, Stade, Heidekreis und Wesermarsch. Über die norddeutsche Region hinaus betreibt er Windanlagen in der Altmark und rund um Aachen. Seit 1991 ist Mangels „Windmüller“. Ge-lernt hat er es learning by doing, denn Windmüller ist kein Ausbildungsberuf, sondern eine Berufsbezeichnung. Als Autoschlosser arbeitete er 17 Jahre bei Mercedes, entschied sich dann für ein Maschinenbaustudium, das er als staatlich geprüfter Maschinenbautechniker abschloss und ging dann unter die Windmüller. „Ich komme aus der grünen Spinner- und Weltverbessererecke“, sagt er von sich. Aus der tiefen Überzeugung Gutes und Richtiges zu tun, kam er zur Windenergie. Er ist Planer und Betreiber in Personalunion. „Ich kann nur Wind, keine Photovoltaik und kein Biogas“, sagt der Windmüller.

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    Bei einer Höhe von 87 Metern produzieren „alte“ Anlagen 800.000 Kilowattstunden pro Jahr, die neuen sind 100 Meter höher und erzeugen 7,5 Millionen Kilowattstunden pro Jahr. In Lauenbrück stehen noch drei Alte, zwei Neue wurden aus drei Alten „repowert“. Mit Klettergeschirr und Helm sicher ausgestattet geht es auf die 2015 erbaute Windkraftanlage Enacon E Typ 101 in luftige Höhe. Erst 125 Meter in einer einem Fahrstuhl ähnelnden Aufstiegshilfe, die für diese Höhe sieben Minuten braucht, die restlichen zehn Meter über eine Leiter. Dann ist die Plattform mit dem „Innenleben“ der Nabe erreicht. Und dann trennt uns nur noch eine weitere Leiter und eine kleine Luke von der Plattform, auf der sonst nur Mechaniker Zutritt haben. 140 Meter hoch mit Blick auf die drei Rotorblätter, deren Spitzen die Gesamthöhe der Windanlage von 187 Metern ausmachen. Die haben aber jetzt Pause. 98 Prozent aller Windkraftanlagen besitzen drei Flügel, das habe sich als das schlüssigste Konzept erwiesen, so Mangels. Bei Windstärke zwei stehen wir in 140 Metern Höhe ganz ohne Höhenangst. Denn die ist ob des gigantischen Ausblicks vergessen… Als Riesenchance bezeichnet Mangels Repowering oder Rückbau. Denn es sei leichter, diese Flächen durch die bereits vorhandene „Vorbelastung“ auf alten Vorrangflächen mit bereits vorhandener Infrastruktur neu zu nutzen. Die Nutzungsdauer von Windkraftanlagen liegt bei etwa 25 Jahren und hängt vom Zustand und der Vergütungsdauer nach Energieeinspeisungsgesetz EEG ab. 2013 beschloss der Rotenburger Kreistag die Erhöhung der Windkraft-Flächen von 0,6 auf 1 Prozent der Kreisfläche. August 2017 zeigte die zweite öffentliche Auslegung des Plans neu ausgewiesene, aber auch alte aus dem Plan gefallene Flächen. Die Gesetzeslage mache es aber immer schwieriger, Flächen für die Errichtung von Windkraftanlagen zu finden und „urbar“ zu machen, so Mangels. Immer aber sei die Auslegung der Gesetze auch Ausdruck politischen Willens. Denn Stromerzeugung durch Windkraft stößt nicht in jedem Fall auf Gegenliebe. Vielen sei der Preis mit Verschandelung und Verspargelung der Landschaft und gesundheitsgefährdenden Aspekten zu hoch. Bei Wind gebe es kein grau, so Mangels Erfahrung.

    In Nähe zur A 1 hat der Landkreis Rotenburg Flächen für Windkraftanlagen ausgewiesen. Infraschall und Schattenwurf spielen in einem Abstand von 600 Metern zur Wohnbebauung laut Untersuchung von Bundesländern und Umweltbundesamt (UBA) keine Rolle. Mit der im Landkreis Rotenburg praktizierten Abstandsregelung von 1.000 Metern sei damit absolut Genüge getan, sagt der Windmüller. Alle durch Wind gewonnene Energie wird sofort in das Stromnetz eingespeist. Abschaltzeiten aufgrund von Überlastung des Netzes gibt es im Landkreis Rotenburg extrem wenig. Ein Jahr nach Abbau einer Anlage wächst an dieser Stelle bereits wieder Gras. Denn im Gegensatz zu Biogas haben Windkraftanlagen einen ganz geringen Flächenverbrauch, gerade mal die Fläche des Fundaments und der Zuwegung. Und Folgekosten wie bei Atom- und Braunkohlestrom gibt es auch nicht, zudem haben Windräder eine bessere Ökobilanz als Biogasanlagen. „Der Wind schickt uns keine Rechnung“, so Windmüller Mangels.

    Die Bundesrepublik ist der fünftgrößte CO² Luftverschmutzer weltweit. „Das könnten wir besser machen, denn wir haben das Knowhow und die Technologie, sind aber in keiner Weise Vorreiter im Klimaschutz“, kritisiert Horst Mangels. Zum Naturschutz hat Mangels eine ganz klare Meinung. Der werde instrumentalisiert, um den Bau von Windkraftanlagen zu verhindern, sagt er, „der grüne Spinner“. Einer seiner Windparks, der seit 23 Jahren und aus sieben Windrädern besteht, muss mittlerweile laut Verfügung durch die Naturschutzbehörde tagsüber aufgrund des Vorkommens vom Seeadler abgeschaltet werden. Im Januar begann der Seeadler in einer Entfernung von 900 Metern zu den Windkraftanlagen mit Nestbau und Brut. Nun geht die Angst um, dass die Küken in den Windpark fliegen. So richtig kann Mangels die Argumentation nicht nachvollziehen, hat sich der Seeadler doch trotz der Windräder in diesem Bereich angesiedelt. Zudem verlaufen zwischen Windenergieanlage und dem Seeadlernest drei große Hochspannungstrassen. Mit der Verfügung macht der Landkreis deutlich, dass das öffentliche Interesse am Bestandsschutz eines der größten Greifvögel Mitteleuropas über der Bestandsgenehmigung von Horst Mangels steht. Denn dem Bau der sieben Windräder ging damals eine Bestandsaufnahme des Gebiets voraus. Die wurde nun außer Kraft gesetzt, so dass die Windräder jetzt zwischen Sonnenauf- und -untergang stillstehen müssen. Eine Entschädigung für den Ausfall gibt es momentan noch nicht, so der Windmüller. Wegen des Naturschutzes sei er damals zur Windenergie gekommen. Heute ist der Naturschutz der „dickste Brocken“ bei Betreibung und Errichtung von Windkraftanlagen. „Ich habe es früher nie für möglich gehalten, dass eine Anlage wegen Vögeln abgeschaltet werden muss“, sagt er ernüchtert. Und dann berichtet er über die Kartierung eines Bestandsparks, an dessen Fundament Kiebitze brüten. Die Vögel, die angeblich durch Windanlagen verscheucht würden. Genehmigungsverfahren beinhalten avifaunistische Untersuchungen und eine Biotoptypkartierung über einen Zeitraum von 52 Wochen. Bis zur Genehmigung zum Bau eines Windparks braucht es drei bis vier Jahre. Und dann sind es Zahlen, mit denen Horst Mangels die Windmühlen mit Leben füllt. Aus 750 Kubikmetern Beton und 60 Tonnen Baustahl besteht das Fundament einer „Mühle“. In Lauenbrück mussten dafür 22 Meter lange Pfähle in die Erde gerammt werden. Die ersten 90 Meter des Turms sind aus Stahlbeton, dem folgen 40 Meter Stahlrohr. Alle Anlagen, so Mangels, sind ferngesteuert. Durch Reduzierung der Rotorleistung kann er den Schall regeln. Denn nachts darf laut Immissionsschutz im Außenbereich der Geräuschpegel 45 Dezibel, tagsüber 60 Dezibel nicht überschreiten. Ein Schattenwurfkalender gibt Auskunft über die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Werte von einer Beschattung von 30 Stunden im Jahr oder 30 Minuten pro Tag.

    Seit 1994 produzierte Horst Mangels mehr als 2 Milliarden Kilowattstunden Strom, ein Zwei-Personen-Haushalt verbraucht etwa 3.000 Kilowattstunden pro Jahr. Das ist die Menge, die die Lauenbrücker Windmühle bei Nennleistung pro Stunde ins Netz speist. Mit Windenergie könnte man den kompletten Stromenergiebedarf des Landkreises bei Ausnutzung von 1 Prozent der Kreisfläche decken, stellt der Windmüller fest. Im Landkreis Rotenburg investierte er mit seinen Mitstreitern mehr als 81 Millionen Euro. Und dann geht es wieder 130 Meter runter, für den einen bequem im Fahrstuhl, die anderen „per pedes“ über die Sprossenleiter. Immer mit Blick gegen die Wand, gegen die Höhenangst, Tritt um Tritt langsam dem Erdboden näher. Das Verständnis für die Dimensionen und Windenergie hat sich verändert mit dem Besuch auf dem Windrad in Lauenbrück.

    Fotos: Thomas Kusch

    Sabine von der Decken
    Sabine von der Decken
    Geboren 1957 in Nordrhein-Westfalen, Studium der Diplom-Biologie in Bremen und Oldenburg. Seit mehr als 20 Jahren freie Mitarbeiterin Weser Kurier Bremen, arbeitet zudem für Fachmagazine wie Land und Forst und Gartenbauprofi.
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