Die 45-jährige Finanzbuchhalterin aus Rotenburg ist seit zwei Jahren als Betreuerin und Organisatorin im Vorstand der Cyclones Sports Family aktiv. Zuvor entdeckte ihr damals zwölfjähriger Sohn das Spiel für sich – eine eher zufällige, aber folgenreiche Begegnung im Rahmen des Sommerferienprogramms. „Er hatte ‚Cyclones‘ gelesen und dachte, dabei ginge es um Radsport. Dazu muss man wissen: Mein Sohn war eigentlich immer zu lieb für diese Welt. Wenn irgendjemand an seiner Schule geärgert oder abgezogen worden ist, dann war garantiert er es. Für seine Psyche war das natürlich gar nicht gut.“ Mit dem neuen Sport kam die 180-Grad-Wende: Nicht nur gefiel das angebliche Radsport-Training dem Junior überraschend gut. „Er entwickelte ein ganz anderes Standing. Seitdem ist er nicht mehr auf die Opfer-Rolle abonniert.“ Positives Selbstvertrauen durch Football – die 45-Jährige könnte viele solcher Geschichten erzählen.
Die Devise der Rotenburger Cyclones, „Football für jedermann“, ist durch und durch ernst gemeint. Der Familien-Gedanke werde im Verein bewusst gelebt, sagt Sieburg-Weiler. Integration und Miteinander, das gelte auch für Heranwachsende, die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurden. „Unser Headcoach Volkhard Schwinge ist Arzt und hat eine ausgesprochen soziale Ader. Sein Anliegen ist, dass Kinder mit verschiedensten sozialen Hintergründen bei uns Teamgeist und Zusammenhalt erleben können.“ Beispiel Ausrüstung: 300 bis 400 Euro kostet die Grundausstattung für den American Footballer. Kein ganz billiger Spaß, erst recht nicht für Eltern mit kleinem Budget. „Deswegen stellen wir interessierten Neuzugängen erst einmal Leihausrüstungen zur Verfügung. Wenn sie merken, es bringt ihnen Spaß, dann haben wir eine Tauschbörse, wo sie für einen Appel und ein Ei ihre eigenen Klamotten bekommen. Das funktioniert wirklich toll bei uns im Verein.“
Schwindelerregende Dynamik, permanenter Wechsel zwischen Angriff und Verteidigung: Auf den Laien mögen manche Spielszenen im American Football wirken wie ein Haufen balgender Welpen auf dem Hundespielplatz. Hinter dem Gerangel jedoch verbirgt sich ein hochkomplexes Regelwerk – und eine zentrale Botschaft: „Wir gewinnen als Team und wir verlieren als Team“, betont Antje Sieburg-Weiler. „Für die Kiddies ist das eine ganz wichtige Erkenntnis. Das ist auch der Grund, warum mir die Arbeit im Verein so viel Spaß macht.“ 1987 gegründet, haben die „Wirbelstürme“ eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Vom Meistertitel in der zweiten Bundesliga (1991) bis zur vorrübergehenden Auflösung des Teams (1998) reicht die Bandbreite prägender Ereignisse. Heute spielen die Herren im Rahmen der Spielgemeinschaft „Zeven Northern United“ (Rotenburg, Zeven und Vechta) wieder in der Oberliga – das entspricht im siebenklassigen System der vierthöchsten Leistungsstufe. Die Nachwuchs-Zyklone aus der A-Jugend haben es ebenfalls in die Oberliga Nord geschafft. „Wir sind mit der Saison sehr zufrieden“, sagt Sieburg-Weiler.
Aktuell zählt der Verein 180 Mitglieder, Tendenz steigend – Verdienst der erfolgreichen Jugendarbeit und einer geschickten Akquise-Technik. „Wir nutzen den Hype um die amerikanische Football-Meisterschaft, den sogenannten Super Bowl“, verrät die Betreuerin. Zum Beispiel, indem zum Finale im Februar unter dem Begriff ‚Tryout‘ ein Probetraining angeboten wird. „Das ist immer eine pressewirksame Aktion. Und natürlich betonen wir bei solchen Gelegenheiten, dass wir zu den ältesten aktiven Football-Vereinen in Deutschland zählen. Da sind wir mächtig stolz drauf.“
Die jüngsten Footballer, die Acht- bis Zwölfjährigen, spielen in der C-Jugend übrigens noch ohne Körpereinsatz. Bei dieser Variante stoppen die Defensivspieler den ballführenden Angreifer, indem sie ihm einen farbigen Stoffstreifen aus dem Gürtel ziehen. Erst ab der B-Jugend (zwölf bis 16 Jahre) wird „Tackle“-Football gespielt und der Gegner mit physischem Einsatz zu Boden gebracht. Ab 13 Jahren beginnt auch der Liga-Betrieb. Ab 17 Jahren wechseln die Jungen in die A-Jugend, ab 19 in die Herren-Mannschaft. Football – kein Sport für Mädchen? Mitnichten. In der C- und B-Jugend spielen Mädchen und Jungen noch zusammen. Einzelne Mädchen trainieren weiter in der A- und B-Jugend mit, für eine eigene Damenmannschaft fehlen in Rotenburg jedoch Spielerinnen. Um das zu ändern, strebt der Verein eine Spielgemeinschaft mit umliegenden Teams an.
Trotz aller Handfestigkeit: Angst um Leib und Leben muss beim American Football niemand haben – zumindest nicht in Deutschland, sagt Sieburg-Weiler. „Hierzulande wird großer Wert auf die Einhaltung des Regelwerks gelegt. Bei jedem Spiel sind bis zu sieben Schiedsrichter auf dem Platz. Und das Verletzungsrisiko ist de facto geringer als beim herkömmlichen Fußball.“ Das liegt auch an der guten Vorsorge. Denn natürlich ist der Körper beim Hin- und Herwetzen über den Platz in voller Montur einigen Belastungen ausgesetzt, genauso wie bei den Kollisionen. Die Cyclones bitten Interessenten daher im Vorfeld um ein Attest vom Hausarzt, das ihnen eine normale körperliche Gesundheit bescheinigt. Entwarnung für alle Erziehungsberechtigten mit Helikopter-Instinkten: 2017 seien im Verein lediglich zwei Verletzungen zu beklagen gewesen – und die hätten sich im Training zugetragen, sagt die Betreuerin, nicht im Zweikampf mit dem Gegner. Für den Fall, dass tatsächlich etwas passiert, sorgen ausgebildete Mediziner am Spielfeldrand für die professionelle Erstversorgung. Sie gehören zu dem „hervorragenden Helferteam“, das die Cyclones regelmäßig unterstützt. Sieburg-Weiler kann sie gar nicht genug loben: „Trainer, Eltern, Vorstand und Freiwillige übernehmen so viele Aufgaben: Fahrdienste, Catering, Sponsoren-Akquise, Webseitenpflege, Organisation … Wenn wir das nicht hätten, würden wir nicht so gut funktionieren.“ Im American Football dauert ein Spiel viermal 15 Minuten plus Nachspielzeit, die wegen der vielen Spielerwechsel erheblich sein kann. Je nach Verlauf kann eine Partie dann zwei bis zweieinhalb Stunden. „Kein Spieler hält ein ganzes Spiel durch“, sagt Sieburg-Weiler. Deswegen muss eine Mannschaft für den Liga-Betrieb mehr Footballer aufbieten als die Minimalanzahl. Im Falle der A-Jugend bedeutet das, dass pro Team 25 Spieler gemeldet werden müssen – auch wenn nur elf Aktive gleichzeitig auf dem Platz stehen.Der Bedarf an Nachwuchs-Footballern ist also hoch. Die Betreuerin freut sich darauf, auch in Zukunft junge Leute zum Sport zu motivieren und ihnen Perspektiven aufzuzeigen: ob als Läufer, Fänger, Werfer – oder als Abwehrspieler, der steht wie eine deutsche Eiche.
Fotos: Mark Intelmann