Emotionales Zentrum und Kommunikationszentrale – Unsere Wochenmärkte

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    Er ist Spiegel der Region, emotionales Zentrum des Orts, Kommunikationszentrale, kommunale Antwort auf Globalisierung, Frischeparadies und Einkauferlebnis in seiner reinsten Natur. Keine Stadtgründung ist ohne ihn denkbar. Und er ist aufgrund der Vielfalt des Angebots, der Konkurrenz unter den Händlern und der damit für den Kunden verbundenen Angebotslage der Vintage-Vorläufer der heutigen Einkaufszentren und Malls. Der Wochenmarkt. Und wer könnte besser die Natur des Wochenmarkts, seiner Seele und seiner Zukunftsfähigkeit erklären als Lothar Geißler, Geschäftsführer Borco-Höhns, Referent der Akademie Borco-Höhns für Verkaufstraining für mobile Lebensmittelhändler und Ehrenpräsident der IHK Stade. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sich Geißler intensiv mit der Thematik Wochenmarkt. In Niedersachsen gibt es 329 Wochenmärkte. Rotenburgs Anteil an der bundesweiten Wochenmarktszene von 3.500 ist mit den Wochenmärkten am Neuen Markt und auf dem Pferdemarkt verschwindend gering. Und sie gehören zu den kleineren, weiß Lothar Geißler, der sehr viele kennt.

    Einkauf auf dem Wochenmarkt, das ist heutzutage Einkaufserlebnis, Versorgungseinkauf aber ist es schon lange nicht mehr. Noch in den 50er/60er Jahren übernahm der Wochenmarkt die Funktion der reinen Versorgung, auch damals stand Frische hoch im Kurs. Heutzutage ist der Bummel über den Wochenmarkt, ob groß oder klein, zum reinen Spaßeinkauf geworden. Kommunikation und Frische der Lebensmittel sind untrennbar miteinander verbunden. „Von einem Markt und seinen Produzenten erwartet der Kunde mehr“, stellt Geißler fest und hebt die besondere Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen Produzent und Kunden hervor. Um diese Erwartungen zu bedienen, dürfen Händler, Produzenten, aber auch Veranstalter und Kommune die Hände nicht in den Schoß legen. Als Beispiel führt Geißler den Wunsch der Kunden nach frischem Fisch an, Fischgeruch aber in der Nase zu haben, das möchte niemand. Die Kaufentscheidung falle schnell, fast im Vorübergehen. Und wer dann als Marktbeschicker optisch wie auch geruchlich nicht innerhalb von Sekunden überzeugt, hat im Wettbewerb schnell den Kürzeren gezogen. „Es gibt verschiedene K.O.-Kriterien“, so Geißler. Positiv wirken sich aber Dekoration, saubere, einheitliche Berufsbekleidung des Personals, Einhaltung der Hygienevorschriften, gute Auszeichnung der Ware, Ausleuchtung von Ware und Fahrzeug, freundliche, kompetente Bedienung und Beratung sowie ein in jeder Beziehung ansehnliches Fahrzeug aus. Werden diese Kriterien beherzigt, wird dem Kunden das Gefühl vermittelt: „Der Händler gibt sich Mühe“. Das wiederum beeinflusse die Kaufentscheidung positiv. Dass Lothar Geißlers Ratschläge auf fruchtbaren Boden fallen, zeigt nicht zuletzt die Vergabe des Seafood Star Preis 2017 an einen Kunden von Borco-Höhns. Denn dieser Preis würdigt die besten Fachgeschäfte, Konzepte, Marketing-Ideen und Events.

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    Auch heute noch konkurrenzfähig. Jeder Wochenmarkt kann bei ausreichender Frequenz und guten Produkten erfolgreich sein, sagt der Mann, der aus mehr als 30 Jahren Erfahrung spricht. „Ich denke, dass Wochenmarkt im gesamten Szenario der Wettbewerber Zukunft hat.“ Natürlich spiele auch in diesem Bereich wie im Einzelhandel Nachfolge eine entscheidende Rolle. Entscheidend für den Erfolg eines Markts aber sind nicht zuletzt auch die Rahmenbedingungen wie Standgebühr und Pflege des Platzes, die in der Verantwortung des Veranstalters beziehungsweise der Kommune liegen. Mit einem Schild, das auf die Öffnungszeiten und Markttage des Wochenmarkts hinweist, können Kommunen unterstützen.
    Eine direkte Konkurrenz durch neue online-Lebensmittelportale und Lieferservice sieht Geißler für den Wochenmarkt nicht. Schon vor 30 Jahren habe es Vergleichbares gegeben, wirklich Geld habe damit noch nie jemand verdient. Wer auf unbedingte Frische Wert legt, der sucht den Weg auf den Markt. Lebensmittelboxen von online-Händlern sind da keine Konkurrenz. Denn trotz enthaltener Kühlpads könne diese Art von Lebensmittelkauf dem Wochenmarkteinkauf in Sachen Frische und kurzen Wegen nicht die Hand reichen. Nur 0,2 Prozent frische Lebensmittel würden über Online-Dienste ausgeliefert, weiß Geißler. Der Rest seien verpackte Lebensmittel. Auf Wochenmärkten sind viele Spezialisten wie Frischgeflügel-, Fisch- und Käsehändler vertreten, deren ausgewählte besondere Produkte in noch so guten Käse- oder Fleischtheken der Discounter nicht zu finden sind. Wenn ein Wochenmarkt gut gemacht ist, ansprechende Stände hat und interessante Konzepte liefert, dann ist er auch für die junge Generation interessant. Der Eventcharakter mit Möglichkeit in Gemeinschaft zu snacken, wie auch Angebote von „convenience-food“ hilft da für eine gute Frequentierung. „Es muss Spaß machen, auf den Wochenmarkt zu gehen“, sagt Geißler. Veranstaltungen wie Präsentation von Vereinen sind da nur einige Möglichkeiten, um das Bild bunt zu gestalten.

    Wochenmärkte sind entbehrlich.„Wochenmärkte sind völlig entbehrlich“, wirft Geißler ein, „aber sie bieten ein wunderbares Einkaufserlebnis und sind eine gute Plattform für Händler, die ihr Geschäft ernst nehmen.“ Allerdings müssten Händler bereit sein, für den Wochenmarkt in Form von Gemeinschaftswerbung etwas zu tun. Einzelhandel heiße zwar, dass jeder einzeln handele, für den Wochenmarkt aber gelte diese Aussage nicht. Auch die umliegenden Geschäfte profitieren von Wochenmärkten, deren Umsätze steigen an Markttagen um 20 bis 30 Prozent. „Markt ist zusätzlicher Frequenzbringer für die Innenstadt.“ Geißler geht davon aus, dass Wochenmärkte kein Auslaufmodell sind, sondern auch in 20 bis 30 Jahren noch zum Stadtbild gehören. Allerdings müssen auch sie mit der Zeit gehen und sich der Digitalisierung mit Internetauftritten stellen, um Produkte aus der Region zu erklären. „Die Story, die dahinter steht, wird immer wichtiger.“ Einheitliche Logos und Einkaufstaschen helfen zusätzlich, um Wochenmarkt als Marke zu etablieren. Heute heiße es immer mehr, dem Markt „ein Gesicht“ zu geben. Regionales Einkaufen in Rotenburg, Visselhövede und Scheeßel. Regionale Produkte haben einen deutlich höheren Stellenwert als der reine Bio-Einkauf, weiß Geißler. Rotenburg hat es geschafft, einen guten Sortimentmix zu erhalten. Mit dem Neuen Markt und dem Pferdemarkt stellt die Gemeinde gleich zwei Plätze zur Verfügung und unterstützt das Marktgeschehen durch Bewerbung, Freihaltung der Plätze, Winterdienst und Reinigung. Sollten Veranstaltungen die Plätze einmal blockieren, stellt die Gemeinde die Fußgängerzone zur Verfügung. Bürgermeister Andreas Weber kauft selber gern auf dem Wochenmarkt ein und nutzt die Gelegenheit, „ideellen“ Support zu geben. „Schon die Geräuschkulisse spricht Bände“, berichtet Weber über das Kommunikationszentrum Wochenmarkt. Es geht mehr als nur um Frische, so seine Erfahrung. Visselhövede lebt eine enge Kooperation mit der Marktgilde und pflegt einen regen Austausch mit deren Marktmeister. „Es ist ein Treffpunkt“, sagt dazu Bürgermeister Ralf Goebel. Immer wieder mittwochs verfolgt Goebel beim frühen Gang über den Markt den Aufbau der Stände, schnuppert den Geruch von starkem Kaffee, den sich die Marktbeschicker nach dem Aufbau ihrer Stände gönnen, und genießt das Markttreiben. Auch der Duft von Holzofenbäcker und der Fischräucherei tragen zum besonderen Flair des Visselhöveder Wochenmarkts bei. Hier gibt es das, was einen klassischen Wochenmarkt ausmacht, beschreibt Goebel den bunten Mix aus Händlern und Produzenten. „Es ist ein Treffpunkt“, so auch seine ganz persönliche Erfahrung. An jedem Markttag holt er auf seinem Weg „Mittwochsbrötchen“ für das Rathaus. Schon seit einer Weile gibt es keinen im Ort ansässigen Schlachter mehr, der Wochenmarkt aber schließt diese Lücke. Ein Grund mehr, um für einen Marktbesuch aus den umliegenden Dörfern in die Kleinstadt zukommen. „Man kennt sich, das macht es aus“, beschreibt Ralf Goebel das besondere Markt-Feeling.

    Für die Infrastruktur investierte Visselhövede in neue Sitzmöglichkeiten und eine zeitgemäße Energieversorgung auf dem Markt. „Wir versuchen, das Kleinod weiter zum Blühen zu bringen und das Versorgungsangebot zu komplettieren.“ Im Wohnzimmer der Stadt Immer findet der Wochenmarkt im Wohnzimmer der Stadt statt. Dessen sollten sich Städte, Gemeinden, Veranstalter und Händler bewusst sein und entsprechend handeln. Die Erfolgskriterien wie unbedingte Hygiene, Kühlung, Ordnung sind fast schon banal, seien aber das Geheimnis zum Erfolg. Denn der Kunde bewertet das gesamte Umfeld. Dort, wo Stadtmarketing mit an Bord ist, so Lothar Geißler aus Erfahrung, läuft es im Wohnzimmer der Stadt besser.
    In Überlegungen für ein ganz neues Wohnzimmer befindet sich zurzeit die Gemeinde Scheeßel. Noch seien sie aber am Anfang der Gespräche, sagt Bürgermeisterin Käthe Dittmer-Scheele. Ein Wohnzimmer aber sei aus ihrer Sicht der aktuelle Standort des Scheeßeler Wochenmarkts nicht. „Für mich hat Wochenmarkt nicht nur mit Einkaufen und Lebensmittelqualität zu tun, sondern auch damit, sich Zeit zu nehmen, zu verweilen, Menschen zu treffen, zu kommunizieren und das persönliche Gespräch mit Marktbeschickern zu suchen“, betont die Bürgermeisterin. Deutlich mehr Aufenthaltsqualität biete da der anvisierte Untervogtplatz. Das Angebot auf dem Wochenmarkt sei für die Größenordnung von Scheeßel durchaus ansprechend. Eine gemeinsame Werbestrategie aber gibt es für den Scheeßeler Markt noch nicht. Er läuft mithilfe des von der Gemeinde installierten Hinweisschilds, vor allem aber durch Mund-zu-Mund-Propaganda und gute Qualität. Schlangestehen bekommt auf dem Wochenmarkt eine ganz andere Qualität, beobachtet Käthe Dittmer-Scheele bei ihren regelmäßigen Gängen über den Markt. „Hier finden Gespräche statt“.

    Fotos: Mark Intelmann

    Sabine von der Decken
    Sabine von der Decken
    Geboren 1957 in Nordrhein-Westfalen, Studium der Diplom-Biologie in Bremen und Oldenburg. Seit mehr als 20 Jahren freie Mitarbeiterin Weser Kurier Bremen, arbeitet zudem für Fachmagazine wie Land und Forst und Gartenbauprofi.
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