Entertainer Julian Böhme und das Rampenlicht

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    Lauenbrück. Zwischen Stillstand und Volldampf. Eben noch als Jongleur bei einer Schulverabschiedung, jetzt auf dem Weg zur Moderation einer Jubiläumsfeier eines Maschinenbauherstellers, am Abend Teambuilding mit Führungskräften eines Großkonzerns – Julian Böhme läuft unter Volllast. Eine Karriere auf der Überholspur, immer in Bewegung, Stillstand ist nicht akzeptabel. „Wer sich nicht selbst bewegt, den bewegt das Leben“ – einer von vielen Sprüchen, die der Coach, Entertainer, Motivator und Tausendsassa parat hat. So abgedroschen das auch klingen mag: Die meisten seiner Lebensweisheiten hat Böhme nicht aus Büchern, nicht von Coaching-Seminaren, sondern selbst erfahren, in der Schule des Lebens. Denn der Schein, er trügt: Das viel beschworene Schicksal, es meinte es nicht immer gut mit dem Lauenbrücker. Die Rückschläge haben ihn zu dem gemacht, was und wer er heute ist – das breite Grinsen inklusive.

    Sich immer wieder selbst neu erfinden, am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen – das gilt nicht erst seit Corona, wo schlagartig alle Auftritte des ehemaligen Wetten-Dass-Wettkönigs und mehrfachen Weltrekordhalters im Guinnessbuch der Rekorde abgesagt wurden. Scheitern als Erfolg – eines der Seminare, die er thematisch inzwischen schon wieder hinter sich gelassen hat, weil es immer so viel spannendes Neues zu entdecken gibt im Universum des 47-Jährigen –, diese Erkenntnis musste Böhme schon vor der Pandemie und der kulturellen Eiszeit ziehen. Das war 2019. Die Auftragsbücher waren voll, Böhme war solo und im Duo „Klirr de Luxe“ gefragt, tourte durch ganz Deutschland. Doch dann war da dieser schlecht verlegte Teppich auf der Bühne; die Folge: Kreuzbandriss. Der fünffache Vater machte das Beste draus. Selbst in der Reha Alleinunterhalter, kam ihm beim Fahren auf dem Ergometer die Idee zum nächsten Guinnessbuch-Eintrag: Das Balancieren eines Löffels während des Trainings auf dem Trimmrad, was ihm unter anderem einen Auftritt im Fernsehgarten einbrachte.

    Immer die Balance halten: Noch so ein Sinnbild im Leben des Entertainers. Nicht nur auf der Rola Bola, dem Brett auf einer Rolle, wo er in luftiger Höhe Kaskaden aus fünf Bällen rhythmisch auf den Boden schleudert. Sondern auch im Leben, zwischen Familie, Jobs und privaten Projekten und Plänen wie der Reise mit dem Rad nach Indien, die – mal wieder – zu kurz kommen. Die Faszination für Akrobatik wurde schon früh angelegt: Als der Junge Julian in der Schule den berühmten Weißclown Dimitri auf der Bühne der Waldorfschule erlebte, wie er eine Rose auf dem Kinn balancierte oder den Vater mit dem Kricketschläger, war sein elfjähriges Ich genauso fasziniert wie beim Anblick der 16-jährigen Mädchen, die bei der Ferienfreizeit drei Bälle jonglierten. Zu fragen traute er sich nicht; stattdessen beobachtete er genau und übte Tag und Nacht, bis er es raushatte. Den Bällen folgte ein Diabolo. Schon bald hatte er unter seinen Mitschülern einen Boom ausgelöst, mit zwei Konsequenzen: Er erntete endlich die Aufmerksamkeit und Anerkennung, nach der sich der schüchterne Schüler immer gesehnt hatte – und Diabolos wurden an der Waldorfschule verboten. Jedenfalls für einige Jahre. Später wurde er gefragt, ob er nicht die Jonglier-AG übernehmen wollte; beim ersten großen Auftritt in der Schulaula vor 800 Zuschauern wurde er frenetisch gefeiert.

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    Dass Unterhaltungskünstler mehr als nur Zeitvertreib und Zubrot sein könnte, war weder seinen Eltern noch dem damaligen Lehrling in der Landwirtschaft klar. Dazu brauchte es andere – den Lehrherrn, der ihn ermutigte und die erste ordentliche Gage für ihn aushandelte, später die Mitbewohnerin mit einer Künstleragentur oder der Freund und Kollege, der die ersten Gigs für ihn klarmachte, während er durch Indien tourte. Nach vier Monaten Auslandstrip waren seine Auftragsbücher zu Hause gefüllt – die Karriere nahm ihren Anfang, der Berufsweg Landwirtschaft war ebenso an den Nagel gehängt wie die Ausbildung im sozialen Bereich, und selbst bei der Begleitung einiger Hilfstransporte war das Jonglieren mit einheimischen Kindern der Höhepunkt gewesen.

    Ein Vierteljahrhundert und viele Erfahrungen später, unter anderem bei Auftritten in TV-Shows, vor Scheichs in der Wüste oder auf Kreuzfahrtschiffen, wirft die Pandemie das Leben über den Haufen. Böhme verdingt sich beim örtlichen Tischler – sein handwerkliches Geschick, seine zupackende Art kommen auch gut an, vor allem aber seine Gabe, andere zu motivieren. Nebenbei vertont er das Buch, das er vor einigen Jahren zu Papier gebracht hat. Ein Herzensprojekt und eine so irre Geschichte, kaum fassbar, dass sie vom Leben geschrieben wurde: Es geht um die Bühnen-Performance von „Klirr de Luxe“ mit Duopartner Pierre Nicolai, der auf der Bühne den Inder Salim gibt, obwohl er eigentlich Franzose ist. „Irgendwie authentischer“ müsste die Performance sein, finden beide – und reisen in ihren Rollen drei Wochen lang durch Indien; Pierre als vorgeblicher Inder, der noch nie das Land betreten hat, Böhme als sein weißer Begleiter, zwar landeskundig, doch seine Rolle verbietet es ihm, einzugreifen. Die wenigen Menschen, die seine professionell im Studio eingelesene Version hören, sind von den Socken, doch der Hansdampf in allen Gassen ist gedanklich schon wieder in neuen Gefilden unterwegs. Das Zauberwort der Pandemie: Online! Das Gebot der Stunde: Zoom-Meetings – und die können ganz schön trocken sein. Böhme wird gebucht: mit kleinen Jonglage- oder Zauber-Acts für „Zwischendurch“. Als Moderator für ganztägige Firmenevents, sogar bei virtuellen Ausflügen für Belegschaften aus mehreren Ländern, spielt er den Online-Reiseführer – auch wenn er Städte wie Kiew oder Los Angeles noch gar nicht selbst bereist hat. Und als Keynote-Speaker zu Themen, die ihm am Herzen liegen: Resilienz, Wertschätzung, Vertrauen – Akrobatik-Einlagen inklusive. Das Geschäft boomt. An seinem Geburtstag absolviert Böhme im Heimstudio mit Greenscreen, das er sich inzwischen auf dem Dachboden im Domizil der alten Knopffabrik gebaut hat, wegen der Zeitverschiebung zu nächtlicher Stunde seine erste einstündige Schalte in die USA. Der „German Begeisterer“ schlägt trotz seiner rudimentären Englischkenntnisse ein – oder gerade deshalb. Dies scheint die Zukunft – das Stehaufmännchen aus Lauenbrück stellt Förderanträge, will groß investieren in Technik und Kameras, die ihm einen noch professionelleren Auftritt in aller (Streaming-)Welt erlauben.

    Und dann die doppelte Rolle vorwärts – oder zurück? Die Pandemie, sie scheint im Frühjahr in den Hintergrund zu treten. Böhme wird wieder „live“ gebucht, und das wie nie. Der Bus, in dem seine Utensilien Platz fanden, ist längst verkauft, das Packen von einem Auftritt zum nächsten, der Grenzgang und das Schlüpfen in die vielen unterschiedlichen Rollen werden zum Kraftakt. Erstmals sagt er Aufträge ab: „Anfragen nehme ich nur noch an, wenn ich ihnen auch gerecht werden kann!“ Böhme ist wieder da: Infotainment, Motivator, Reiseleiter für eine Schweizer Firma in Marokko und Mädchen für alles – der selbst ernannte „Begeisterer“ schlüpft in viele Rollen und schafft es, dabei die Themen unterzubringen, die ihm am Herzen liegen – und vor allem Begeisterung, Vertrauen, Wertschätzung. Im marokkanischen Bergdorf läuft parallel zum Wohltätigkeits-Fußballspiel „seines“ betreuten Teams aus Führungskräften gegen durchtrainierte, höchstens halb so alte Männer aus dem Dorf, eine Wohltätigkeits-Müllsammelaktion. Beim anschließenden Dorffest im Atlasgebirge geht ihm das Herz auf. Endlich findet offline und „in echt“ statt, was noch vor kurzem nur online lief. Das Prinzip, die Mischung aus Kindergeburtstag und Managertraining, bleibt das Gleiche: „Die Euphorie der Zuschauer nutzen, sie in Tatendrang bringen, Dinge bewegen.“

    Wann er wieder Zeit haben wird für Privates – Kids, Hecke schneiden, die Radtour nach Indien? Er weiß es nicht. Immerhin: Ein großes privates Projekt im Herbst ist in Planung: ein Teambuilding mit Kollegen von der Coach-Ausbildung für Führungskräfte. Allerdings nicht per Zoom oder in der Lüneburger Heide, sondern – wie immer bei Böhme – eine Nummer größer, nämlich bei der Besteigung des Kilimandscharo. Zwei Schritte vor, einen zurück – das klingt nach einem neuen Thema für Böhmes nächsten Vortrag – man darf gespannt sein.

    Fotos: Mark Intelmann

    Jan-Patrick Neumann
    Jan-Patrick Neumann
    Geschichte(n) schreiben: Nach einiger Zeit wieder zurück im hohen Norden, brennt der bekennende Verfechter des Lokaljournalismus für alles, was das Leben reicher macht: Kultur, Musik, spannende Regionalthemen und Menschen, die Geschichten zu erzählen haben – kleine wie große.
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