Feuerengel – Das Doppelleben des Frontmannes

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    Rotenburg. Ein begeistertes Publikum in der Schweriner Sport- und Kongresshalle. 3000 stehen dicht gedrängt, klatschen im Rhythmus, schauen gebannt auf die Bühne. Im Takt der Musik aufblitzendes Licht. Feuerstöße schießen nach oben, Nebel wabert, aus dem der Frontman hervorkommt und zur Bühnenrampe geht. Er stimmt den Song an, auf den alle gewartet haben – und alle singen natürlich den Text mit. Das passiert nicht nur in deutschen Hallen, sondern ebenso in Istanbul, der Schweiz oder in den Niederlanden. Überall da, wo „Feuerengel“, die Rammstein-Tribute-Band, auftritt. Dieser Frontman, Boris Delic, intoniert mit tiefer Stimme: „Erst wenn die Wolken schlafen gehn / Kann man uns am Himmel sehn. / Wir haben Angst und sind allein. / Denn Gott weiß, ich will kein Engel sein.“  

    Boris Delic ist nicht nur Frontman, sondern auch Geschäftsführer des Unternehmens „Feuerengel“. Als solcher investiert er weit mehr Stunden in die Organisation der Firma als in die Musik. Aus dem neuen Rammstein-Album „Rammstein“ etwa wurde der Titelsong „Deutschland“ in einem Wochenende einstudiert. Viel mehr Zeit braucht dagegen das präzise Timing von Licht- und Feuershow am Rechner sowie die Planung des Bühnenbildes. Bei jedem Konzert sind zwei ausgebildete Pyrotechniker dabei. Dass Boris sich mal eine Brandwunde am Oberschenkel zuzog, lag nicht an ihnen.

    Boris singt, steht dabei wie eine Statue oder bewegt hin und wieder rhythmisch den Körper, breitet die Arme aus, erhebt mahnend und drohend Arm und Zeigefinger. Nur selten verlässt er dabei die Rolle des Rammstein-Frontmans. So im April 2019 bei einem Konzert im holländischen Zwolle… Während des Intros zu „Deutschland“ scheint ihm wohl das Publikum noch zu verhalten zu sein, da geht er mit der Hand hinter dem linken Ohr nach vorne. Und das Publikum jubelt. Stichwort „Publikum“: Dazu meint Boris: „Manchmal staune ich, wer so alles im Publikum ist. So sprach ich bei einem Konzert in Görlitz eine ältere, begeisterte Dame an, warum sie sich das Konzert anhört. Sie zeigte auf ihre 12-jährige Enkelin. Die müsse sie begleiten. Sie selbst war 78.“

    „Feuerengel“ will sich im Jahr auf 30 Konzerte beschränken, das klappt aber nicht immer, so sind in diesem Jahr noch 18 Auftritte geplant und gebucht. Zurück auf die Bühne! Texte, Show und Musik muten dem Frontman einiges zu. Natürlich ist ihm bewusst, dass er eine Rolle spielt, die Rolle des Rammstein-Frontmans Till Lindemann. Aber, so erzählt Boris Delic, manchmal falle es ihm nicht leicht auf der Bühne. So gebe es Songs wie „Bück Dich“, die sexuell mehr als eindeutig seien, wo der Frontman mit einem Gummipenis auf der Bühne erscheint. Oder eine andere Situation: Am 11.3.2009, dem Tag des Amoklaufs in Winnenden, ließ Boris das fest eingetaktete Lied „Weißes Fleisch“ weg, da es die Zeile enthält: „Du auf dem Schulhof, ich zum Töten bereit…“ 2020 spielt „Feuerengel“ in Ramstein, dem Ort in der Pfalz, wo vor 30 Jahren bei einer Flugshow mehr als 70 Menschen umkamen. Beim letzten Meeting der Band wurde beschlossen, dort nicht den Song „Rammstein“ zu spielen, der sich direkt auf die Katastrophe bezieht.

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    Foto: Annika Thomas

    Er nennt eine weitere Situation, wo er absichtlich aus der Rolle des Rammstein-Frontmans fällt. Eigentlich ist Boris ja Drummer, hat dies aber zugunsten des Gesangs aufgegeben. Aber manchmal reizt es ihn doch, ans Drumset zu gehen. „Da gibt es einen Song, da wird ein Gummiboot über die Köpfe des Publikums geschoben. Und es merkt nicht, dass ich mit Xoph, unserem Drummer, die Plätze tausche“. Es gibt ja nicht nur „Feuerengel“ als Coverband, aber Boris und seine Mannen bekommen wohl von dem Original die meiste Anerkennung. Boris Delic erinnert sich besonders gern an zwei Einladungen von Rammstein nach Berlin anlässlich der Verleihung der Goldenen und Platinen Schallplatte. „Bei unseren Konzerten singen ja fast alle mit; getanzt wird eigentlich nie. Nur in Berlin war es anders. Die 500 von Rammstein geladenen Gäste tanzten zur Musik von uns – ein irres Gefühl!“

    Szenenwechsel: Dreizehn Männer und Frauen arbeiten im Gruppenraum unter Anleitung ihres Teamcoaches Boris Delic daran, tragbare Kocher, wie man sie für das Camping benutzt, zusammenzusetzen. Einer der Männer steht auf und mischt sich in das Gespräch ein, das ihr Teamchef gerade mit Mark Intelmann, dem ROW Stark-Fotografen, führt. Ruhig und freundlich, aber bestimmt, bittet Boris den Mann zurück an seinen Arbeitsplatz. Boris ist einer von ca. 300 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen bei der Lebenshilfe Rotenburg-Verden. Ein Berufsleben ohne diese Arbeit mit Menschen, die kognitiv oder körperlich behindert sind, kann er sich nicht mehr vorstellen. Dabei dachte er, der gelernte Mechatroniker, nach dem ersten Tag in der Lebenshilfe: „Das halte ich nicht aus!“ Er verinnerlicht das Motto der Lebenshilfe „Es ist normal, verschieden zu sein.“ Für diese kräftezehrende Arbeit braucht Boris Delic einen ruhenden Pol. Wichtig sind ihm Freundschaften. Nach seiner Ausbildung zum Mechatroniker reiste er ein Jahr als Backliner durch Europa. Das war ihm zu unruhig, zu weit weg von den Freunden und der Familie.Einen verlässlichen Pol findet er in seiner Familie, bei seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn. Vielleicht ist er auch darin dem Rammstein-Frontman ähnlich, in dem Leben auf dem Lande in einer Siedlung, die Dorf zu nennen übertrieben wäre – Griemshoop bei Helvesiek. Dort sitzt er freundlich lächelnd, ruhig und besonnen am großen Tisch dem Gesprächspartner gegenüber. Hier hat jemand seine Lebensmitte gefunden, und es fällt schwer zu glauben, dass am nächsten Wochenende beim Konzert in Bochum aus diesem sympathischen Mann wieder der martialisch auftretende Frontman von „Feuerengel“ wird.

    Foto: Annika Thomas
    Heribert Eiden
    Heribert Eiden
    Erste Erfahrungen mit der Presse am Gymnasium in seiner Heimat. In der Schülerzeitung berichtet er 1967 u.a. höchst kritisch über eine NPD-Veranstaltung. Nach Studium von Germanistik und Geschichte in Freiburg wird Lehrer und engagiert sich im Theaterfach als Regisseur in Schulen wie im Rotenburger Theater RollenTausch.
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