Was Holger Benning investiert: jede Menge Zeit in die Tiere. Das Revier erstreckt sich etwa in dem Bereich Scheeßel-Tostedt-Schneverdingen-Hollenstedt bis nach Neu Wulmstorf und Hamburg. „Rund 60.000 Kilometer sind wir jährlich für die Herden unterwegs“, schätzt er. Er setzt ausschließlich auf alte Rassen, beispielsweise auf die graue gehörnte Heidschnucke, ebenso auf Bentheimer Landschafe, Leineschafe und Dänische Landrasseziegen. Die Landschaftspflege ist (neben der Schlachtlammproduktion) der Schwerpunkt des Betriebes. Für Holger Benning geht es zudem oftmals um die Beratung und Ausbildung im Herdenschutz, etwa bei Schulungen in Theorie und Praxis für Zaunbau und Hundehaltung und Vor-Ort-Beratungen und Vorträge im Rahmen des niedersächsischen Herdenschutzprojektes (beispielsweise des Naturschutzbunds, NABU). Holger Bennings Herden beweiden vor allem Moor- und Heideflächen sowie Magerweiden, Grünland, aber auch Ackerland als Winterweide. Rund 90 Prozent der bewirtschafteten Flächen liegen inzwischen im Landkreis Harburg und der Stadt Hamburg. Bereits 2014 gab es übrigens die Anerkennung als Nutztier-Arche für vom Aussterben bedrohte Rassen. Robuste, gesunde und ursprünglich anspruchslose Tiere zu halten, die gut in ihrer Umwelt zurechtkommen, so lautet eins der Ziele. Doch wenn die Tiere einen Großteil des Jahres draußen unterwegs sind, die Herden viele Kilometer voneinander entfernt, ist ein optimaler Schutz umso wichtiger. Wer den übernimmt, zeigen die zwei, die nun auf der Weide heranstürmen: Cooper und Debbie, zwei stattliche Hunde. Die Schäferei Wümmeniederung setzt nämlich auf besondere Herdenschutzhunde. Die verteidigen die Schnucken nicht nur gegen diebische Zweibeiner, sondern auch vor tierischen Bedrohungen – wie streunenden Hunden oder eben dem Wolf. Und mit letzterem kennt sich Benning aus, schließlich berät er im Auftrag des niedersächsischen Umweltministeriums andere Nutztierhalter über geeignete Herdenschutzmaßnahmen. Gerade in den vergangenen zwei Jahren, so berichtet er, hat er öfters Trittsiegel und andere Spuren von Wölfen auch in der Nähe seiner Herden entdeckt – und Fotofallen sorgen für weitere Beweise.
Kangal, so lautet der Name der Rasse, auf die Holger Benning und seine Frau setzen. Die anatolischen Hirtenhunde seien besonders für eine solche Aufgabe geeignet. „Die haben einen Arsch in der Hose“, grinst Holger Benning. Heißt: Selbst auf einen Wolf machen diese Vierbeiner Eindruck. „Immer wieder kommen auch Hunde zur Ausbildung zu uns“, erklärt der Schäfer, der diese Aufgabe selbst übernimmt. „Sie verbringen ihr ganzes Leben in der Herde“, berichtet Benning, der voll von diesem Konzept und der Arbeit der Hunde überzeugt ist, die an sich schon eine Anlage und eine Neigung fürs Schutzverhalten und eine charakterliche Festigkeit mitbringen würden. „Sie lernen schnell.“
Weiter geht die Fahrt zum nächsten Weideort, dort gibt’s die stürmische Begrüßung sogar gleich durch drei Hunde: Ayla und Sina traben heran, begleitet von Faye, gerade erst im Juli geboren, aber schon mitten in der Herde. Klar, dass erstmal Streicheleinheiten gefragt sind, denn – Herdenschutz hin oder her – Hund bleibt eben Hund und der möchte vom Herrchen Beachtung finden. Nicht jeder Nutztierhalter ist übrigens von Bennings Art des Herdenschutzes überzeugt. „Unter anderem, weil sie logistisch und wirtschaftlich einfach keine Möglichkeit haben, die Hunde zusätzlich zu managen, oder ihnen deren Einsatz von den Flächeneigentümern und Auftraggebern untersagt wird, da die Bereitschaft fehlt, etwas Neues zu akzeptieren. Das geht hierzulande nicht, meinen einige. Die haben aber keine Ahnung, wie diese Hunde arbeiten“, sagt Benning, der bislang nur gute Erfahrungen gemacht hat. Ein weiteres Gegenargument mancher: die Kosten, denn die Welpen sowie natürlich auch die ausgebildeten Tiere haben ihren Preis. Dazu kommt der Unterhalt. „Herdenschutz gibt es aber nicht zum Nulltarif“, stellt der Vorsitzende des Vereins für arbeitende Herdenschutzhunde in Deutschland klar. Aktuell hat er 15 der speziellen Hunde im Einsatz. Nahziel: 20, jeweils drei für seine sechs Herden, dazu zwei als Ersatzkandidaten. Übrigens seien die Kangals menschenfreundlich, aber es handele sich nicht um Schoßhunde – auch wenn es Leute gebe, die sie so halten würden. Das aber sei nicht artgerecht. Wichtig ist dem Halter, dass seine eingesetzten Hunde nicht aus einer Sofazucht, sondern vielmehr aus einer guten Arbeitslinie und aus kontrollierter Aufzucht stammen. Und so bildet Benning nicht nur aus und prüft Hunde anderer Betriebe auf ihre Tauglichkeit, sondern züchtet auch selbst. „Die Tiere sind sehr gefragt. Kürzlich gingen zwei Welpen nach Tirol, auf Empfehlung eines schweizerischen Herdenschutzprojektes, Kangals in stark touristisch frequentierten Bereichen einzusetzen.“ Ein großer Hund zur Abschreckung vor diebischen Langfingern (auch was Zäune und Weidegeräte angeht) – das leuchtet ein. Doch auch der Wolf, sagt Benning, werde dadurch ferngehalten, so die Erfahrung. Das liege an dessen Territorialverhalten, schließlich habe der Räuber kein Interesse, in einen Kampf zu geraten und verletzt zu werden. Und so akzeptiere der Wolf das Revier des Hundes. Schäfer und Wolfsberater zugleich – Benning kennt sich auf beiden Gebieten aus. Er warnt in Bezug auf den Wolf und sein Vorkommen in Deutschland vor Hysterie – die gebe es leider oftmals etwa in sozialen Netzwerken. Ein sachlicher Umgang mit der Thematik sei notwendig. „Früher hatte der Wolf hier seinen Lebensraum. Nun ist er zurück und das ist auch nicht mehr zu ändern. Darüber brauchen wir keine Diskussion mehr zu führen“, macht Holger Benning deutlich. 14 bestätigte Rudel gebe es zurzeit in Niedersachsen (Stand: Oktober 2017), dazu einige Paare und Einzeltiere. Zudem lassen sich in weiteren Gebieten Wolfsvorkommen vermuten.
Mit seiner Arbeit hat sich Holger Benning der Landschaftspflege und dem Naturschutz verschrieben. Und zur Natur gehört auch der Wolf, das ist ihm klar und mit seinen Beratungen und Schulungen gibt er sein Wissen in punkto Herdenschutz gern weiter. „Wir müssen die Lage allerdings im Auge behalten und aufpassen, dass es nicht in ein Wettrüsten zu Lasten der Halter ausartet“, sagt er. Die Kosten seien nämlich schon jetzt immens. Zeit in die Ausbildung investieren, der Unterhalt für die Hunde mit Futter, Impfungen und ähnliches, dazu der Arbeitsaufwand – mehr als 20.000 Euro kostet Holger Benning der Herdenschutz Jahr für Jahr. Zwar sei jeder Halter selbst gefordert, seine Tiere zu schützen, doch insbesondere die Politik sieht Benning längst mehr in der Pflicht. Da gebe es in punkto Förderung (etwa beim Unterhalt der Schutzhunde) und deren Richtlinien Nachholbedarf. Denn sonst bestehe die Gefahr, dass die Schafhalter Stück für Stück die Segel streichen müssen. Eine ökologisch wertvolle Landschaftspflege sei dann nicht mehr möglich. Die Pflege von Landschafts- und Naturschutzgebieten sei ohne Schafe undenkbar. Auch die Lüneburger Heide würde es in dieser Form, einer vom Menschen geschaffenen Kulturlandschaft, nicht geben, ohne dass täglich tausende Heidschnucken mit ihren Schäfern durch die Heide ziehen. Gleiches gelte für alle anderen Landschaften in Deutschland, egal, ob Deich, Alm oder Streuobstwiese. Darüber müssten sich Entscheidungsträger und Politiker im Klaren sein. Und die Bevölkerung müsse die finanzielle Unterstützung durch Steuergelder ebenfalls akzeptieren. Wenn die Gesellschaft den Wolf wieder in der Natur haben möchte, müsse es eben nötige finanzielle Regelungen für die Schafhalter geben. „Schließlich leisten wir eine wertvolle Arbeit für die Landschaftspflege und für die Artenvielfalt.“ Und eine intakte Naturlandschaft biete einen hohen Erholungswert für die Allgemeinheit. An Weidegebiet drei trifft Holger Benning seine Frau Nicole. Sie geht beruflich eigentlich einer anderen Tätigkeit nach, hilft bei Bedarf aber immer wieder mit, kümmert sich hauptsächlich um Büroarbeiten und um die Herdenschutzhunde und gibt ihr Wissen zum Thema ebenso weiter. Heute beobachtet sie von Weitem aus ihrem Auto heraus eine Herde, in der zwei Hunde in Ausbildung mitlaufen. Erster Eindruck: keine Probleme. Gerade unterhält sich das Ehepaar noch, da kommt schon ein Landwirt hinzu. Ob Bennings Schafe als Landschaftspfleger auch auf seine Flächen könnten, möchte er wissen. Holger Benning nickt. „Kriegen wir hin.“
Abendlicht, ein laues Lüftchen, viel Ruhe und Entspannung, der Schäfer und sein Hund stehen Seite an Seite – gibt’s so eine „Schäferromantik“ heutzutage noch? Holger Benning lacht. „Das ist richtige Maloche“, sagt er. Aber, ja, doch, beim Hüten der Schafe gibt es auch ruhige Momente – allerdings mit dem Wissen im Hinterkopf, dass noch jede Menge Arbeit wartet. Trotz der 90-Stunden-Woche möchte Holger Benning keinen anderen Beruf, dafür hängt er zu sehr an den Tieren und der Arbeit an sich. „Ich möchte nichts anderes machen, ich muss einfach raus an die Luft.“ Was ist mit Urlaub? Der letzte ist lange her. Demnächst stehen wohl tatsächlich mal wieder ein paar freie Tage an. „Aber wenn schon Urlaub, dann müssen da auch Schafe sein“, grinst Holger Benning. „Sonst hat das Ganze keinen Sinn!“
Fotos: Wibke Woyke