Neun Männer und Frauen haben sich zum Training im tamado eingefunden. Neun Paar Bastsandalen stehen, ordentlich aufgereiht, am Dojo-Eingang. Schüler und Meister tragen Hakama, den japanischen Hosenrock, dazu eine robuste Baumwoll-Jacke, den Gi. Zur Dojo-Etikette gehört die traditionelle Angrüßzeremonie: Abknien, Meditation bei geschlossenen Augen, Verbeugung vor dem Lehrer und vor den Ahnen, die zuvor durch lautes Klatschen geweckt werden. Mit etwas Vorstellungskraft öffnet sich ein Fenster in die Vergangenheit: Die Schüler verwandeln sich in eine Gruppe Samurai, die sich der friedlichen Absichten der jeweils anderen versichern, ehe sie ihre Schwerter ablegen – eine kurze Pause von der ständigen Kampfbereitschaft, um gemeinsam Tee zu trinken und in Heldentaten zu schwelgen.
In die Gegenwart zurückgekehrt, kann das Training beginnen. Die Schüler stellen sich mit ausreichend Abstand zueinander auf, ziehen das Katana und führen, langsam und konzentriert, eine festgelegte Reihenfolge von Techniken aus. Sie üben eine Kata, eine stilisierte Kampfszene mit imaginären Gegnern. „Wichtig ist die Handhabung des Schwertes“, sagt Bonar. „Wir fuchteln nicht herum, und wir hacken auch nicht. Wir schneiden bewusst und präzise mit dem vorderen Drittel der Klinge.“ Auf einem echten Schlachtfeld würde das Blut in alle Richtungen spritzen. Im Dojo geht es um etwas ganz Anderes: Kontrolle. „Körper, Geist und Schwert sollten eins sein“, sagt Bonar. „Man trainiert nicht nur die Muskeln, sondern auch das Gehirn. Darum eignet sich Kenjutsu hervorragend, um abzuschalten und den Alltag hinter sich lassen.“ Bonar ist von Kindesbeinen an in der Welt des asiatischen Kampfsports zu Hause. Im Alter von fünf Jahren begann der Achimer, angesteckt von der Leidenschaft seines Vaters, mit Jiu Jitsu. „Das ist sozusagen die Mutter der modernen Martial Arts.“ Später kamen Kung Fu, Brasilianisches Jiu Jitsu, Judo und Aikido dazu.
Im Kickboxen trägt der 52-Jährige den höchsten Dan samt mehrerer nationaler und Europameister-Titel. Bei den Waffenkünsten übt er nicht nur die klassische Schwertkunst aus, sondern auch Iaid (die Kunst des Schwertziehens) sowie das japanische Bogenschießen. „Meine Mutter hat noch Handball gespielt, als sie im achten Monat mit mir schwanger war“, sagt der Vater von vier Kindern. „So bin ich wohl ein wenig sportlich geraten.“ Ohne diese Veranlagung hätte eine Episode aus Bonars Bundeswehrzeit vielleicht ein schlimmes Ende genommen: In den späten 90ern wurde er von einem Panzer überfahren. Mit zwei gebrochenen Brustwirbeln und Knochenfragmenten, die knapp vor dem Rückenmark zum Stehen gekommen waren, kämpfte er sich aus dem Rollstuhl zurück ins alte Leben. „Es gibt Vieles, was wir vom Kampfsport lernen können“, sagt er. „Disziplin, Vorsicht, Mut, Ehre, Gutmütigkeit, Herzlichkeit und Toleranz. Das gilt für Kenjutsu genauso wie für Karate oder Judo.“
Sicherheit geht vor. Kenjutsu-Anfänger üben selbstverständlich nicht mit dem scharfen Katana, sondern mit einer hölzernen Nachbildung, dem Bokken. Zudem gelten wegen des Umgangs mit echten Waffen besondere Vorsichtsmaßnamen. Die Vorlage eines Führungszeugnisses ist Voraussetzung für die Teilnahme am Training. Und: Die Katana müssen in einer abschließbaren Tasche oder einem Waffenkoffer transportiert werden. Ohnehin achtet der Chef des tamado darauf, wer in seinem Fitness- und Kampfsport-Studio ein- und ausgeht. „Rowdies und Prolos haben bei uns keine Chance!“
Fotos: Arne von Brill