Windanlagen sind der unzuverlässige Betrieb sowie die Windspitzen und -flauten. Geeignete Speicher, die die gewonnene Windenergie vorhalten und rund um die Uhr gleichmäßig abgeben könnten, sind derzeit nicht in Sicht. Und Offshore, dort, wo der Wind kräftig bläst? Reinhard David und Hans-Joachim Boschen winken ab. Die Stromerzeugung auf See ist ähnlich ungleichmäßig wie an Land. Die Stadtwerke haben schon einmal eine Beteiligung an solchen Anlagen getestet, doch man habe sich daraus wieder zurückgezogen. „Wir als – im Vergleich – kleines Unternehmen wären bei solchen Projekten mit 60 oder 70 anderen in einem Boot, auch mit wesentlich größeren Mitstreitern. Einflussnahme gibt es dort für uns nicht“, berichtet Reinhard David. Daher halte man lieber an der Devise fest, die Energiewende vor Ort voranzutreiben – dort also, wo die Stadtwerke ihre Geschicke selbstständig leiten und beeinflussen können. Eine Chance nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Region, so die Überzeugung.
CO2-Emissionen reduzieren – wie geht das? Besonders im Fokus stehen dabei die dezentralen Blockheizkraftwerke. Mit Wirkungsgraden bei der Strom- erzeugung von 35 Prozent und mehr sowie Gesamtnutzungsgraden von 80 bis 90 Prozent stelle deren Kraft-Wärme-Kopplung „ein interessantes Instrument zur rationellen Energieverwendung und für den Umweltschutz“ dar. „Mittlerweile haben wir 24 BHKWs mit einer Leistung von einem bis 1.000 Kilowatt“, so Hans-Joachim Boschen. Zum Einsatz kommt Erd- beziehungsweise Biogas. Pluspunkt der BHKWs: Durch sie gelinge es, gegenüber konventioneller Strom- und Wärmeerzeugung rund 30 bis 50 Prozent Primärenergie und CO2-Emissionen einzusparen. Auch in den kommenden Jahren sollen daher weitere Blockheizkraftwerke vor Ort entstehen, Stück für Stück mit zeitlich realistischen Zielen. Und jene realistischen Schritte sollten auch für die Energiewende auf Bundesebene gelten, mahnt Reinhard David. Ehrlichkeit sei gefragt, was wie schnell machbar sei.Weiterer Baustein: Photovoltaikanlagen. Auch wenn die im sonnenreicheren Süden noch effizienter laufen: Die mittlerweile zehn Anlagen der Stadtwerke rechnen sich wirtschaftlich. Das älteste Projekt („Das war damals die erste PV-Anlage überhaupt in Rotenburg“) befindet sich direkt auf dem Dach der Stadtwerke im Mittelweg. „Auch nach 20 Jahren gibt es keine Probleme und der Ertrag stimmt“, erklärt Hans-Joachim Boschen. Die größte Photovoltaikanlage befindet sich übrigens am Flugplatz. Sie sei so optimal ausgerichtet, dass sie mit einer Leistung von 736 Kilowatt-Peak (Spitzenleistung) eine Strommenge von circa 750.000 kWh erzeuge. Dabei würden rund 480 Tonnen CO2-Emissionen eingespart. Die kleinste Anlage ist auf der Wärmestation an der Knickchaussee zu finden. Auch wenn die Stadtwerke nicht an Offshore-Parks beteiligt sind, haben sie dem Wind doch eine Chance eingeräumt. 2015 wurde auf dem Verwaltungsgebäude am Mittelweg eine sogenannte vertikale Kleinwindanlage realisiert. „Als Experiment“, so Hans-Joachim Boschen. Mit dem Testobjekt sollen Erfahrungen über den technischen Betrieb und die Wirtschaftlichkeit gesammelt werden sowie über die Wechselwirkung mit anderen Energieerzeugern. Doch auch wenn die Anlage interessant aussieht, sie keinen Schattenwurf und keine Geräuschkulisse mit sich bringe: „Es war ein ernsthafter Versuch, ob sich Windanlagen in städtischen Gebieten lohnen, aber sie lohnt sich wirtschaftlich nicht“, fasst Reinhard David die Erkenntnisse der ersten Jahre zusammen.
Ökostrom, Ökogas, Energieberatung und der Umstieg für Kunden auf eine moderne Heizung – weitere Punkte Richtung Nachhaltigkeit. Dazu zählen ebenso die Stromtankstellen für E-Autos am Ronolulu, am Rathaus und auf dem Wümmepark-Parkplatz. Auch die Umrüstung der städtischen Straßenbeleuchtung auf LED haben die Stadtwerke übernommen. 2014 startete das Unterfangen, das die Energieeinsparung pro Lichtpunkt um etwa 80 Prozent reduzieren konnte. In diesem Jahr wird das Projekt abgeschlossen sein. Aktuell setzt sich die Gesamtstromlieferung der Stadtwerke übrigens folgendermaßen zusammen: 45,3 Prozent Erneuerbare Energien finanziert aus der EEG-Umlage, 22,6 Prozent Kohle, 15,7 Prozent Erdgas, 9 Prozent sonstige EEG, dazu rund 6 Prozent aus Kernenergie sowie ein Rest aus sonstigen fossilen Energieträgern. 100 Prozent umweltfreundlich im Jahr 2030 – wie kann das Ziel erreicht werden? „Das größte Potenzial liegt für uns klar in den Blockheizkraftwerken – auch aufgrund der Versorgungsverlässlichkeit“, betont Hans-Joachim Boschen. Um die lokale Energiewende weiter voranzutreiben, wurde vor fünf Jahren die Abteilung Energie und Nachhaltigkeit gegründet, um Projekte vor Ort effektiv auszurichten. Klingt positiv. Aber es gibt ein Problem: die wachsende Bürokratisierung. „Die bindet immer mehr Arbeitskraft“, sagt Reinhard David. Ständig neue Gesetze und Verordnungen, an diesem Punkt sei „die Schlagzahl einfach zu hoch“. Mehr als 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Stadtwerke aktuell. Einer davon beobachtet übrigens ganz intensiv den Preis, zu dem das Unternehmen Energie einkaufen kann. Ist er der Meinung, der Markt biete günstige Konditionen, so gibt er eine Kaufempfehlung ab. Ein Risikokomitee der Stadtwerke kommt daraufhin zusammen und wenn’s auch von dort grünes Licht gibt, wird eine Agentur als Zwischenhändler beauftragt, den Deal abzuwickeln. So sichern sich die Stadtwerke die Energiekontingente für ihre Kundinnen und Kunden (aktuell 15.000 im Bereich Strom, 8.500 beim Erdgas). Dass jene wiederum auf niedrige Kosten Wert legen, versteht sich. Doch wie hoch ist der Anteil des Kilowatt-Preises, auf den die Stadtwerke überhaupt Einfluss haben? „Gering“, sagt Hans-Joachim Boschen. Umlage nach dem EEG-Gesetz (der größte Brocken), Netzentgelt, Stromsteuer, Konzessionsabgabe, Aufschlag nach dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, Umlage der Stromnetzentgeltversorgung, Offshore-Umlage, Umlage der Verordnung zu abschaltbaren Lasten – die Liste der Abgaben ist lang und phantasievoll. Geht man von einem Arbeitspreis pro verbrauchter Kilowattstunde von 21,85 Cent aus (Preis vor Umsatzsteuer, netto), so betragen die Abgaben über 50%. Mit den staatlich regulierten Netzentgelten insgesamt 15,765 Cent. „Bleiben 6,085 Cent für uns – und davon müssen wir den Strom auch noch einkaufen“, erklärt Boschen.
Trotzdem: Die Stadtwerke Rotenburg stehen gesund da. Nicht nur gut für das Unternehmen, sondern für ganz Rotenburg. Schließlich sind die Stadtwerke eine 100-prozentige Tochter der Stadt. Auf Empfehlung des Aufsichtsrats schüttete der Energieversorger im Geschäftsjahr 2016 dann auch 1,475 Millionen Euro an die Kommune aus und führte eine Million Euro den Rücklagen zu. Zusätzlich bekommt die Stadt rund 900.000 Euro Konzessionsabgabe, den vollen Verlustausgleich des Erlebnisbades Ronolulu und die Gewerbesteuer. Somit ergibt sich ein Vorteil von rund 4,6 Millionen Euro für die Stadt. „Wenn es uns nicht geben würde, dann würde sich Rotenburg das Ronolulu nicht in dieser Art leisten können“, sind Reinhard David und Hans-Joachim Boschen überzeugt. Dazu komme die Unterstützung der Stadtwerke für lokale Vereine und Organisationen. Engagement, das sie von vielen anderen Energieversorgern unterscheide. Der Zukunft blicke man trotz aller Herausforderungen positiv entgegen: „Wir sind gut aufgestellt.“
Fotos: Mark Intelmann