Peter Paulitsch – 75 und kein bisschen leise

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    Wer Peter Paulitsch noch als Leiter der Kreismusikschule (KMS) Rotenburg kennt, mag kaum glauben, dass er diese erfüllende Aufgabe bereits vor 16 Jahren in jüngere Hände übergab. Von der Musik hat er nach dem Abschied vom Schulbetrieb seitdem allerdings nicht gelassen, im Gegenteil, er nutzt und genießt die neuen Freiheiten, die das Rentnerdasein mit sich bringt. Und lässt sich auch von Corona nicht ins Bockshorn jagen. „Wenn Konzerte im Saal nicht mehr möglich sind, dann spiele ich eben vom Rathausbalkon“ – gesagt, getan, umsonst und draußen. Mit Hygienekonzept und den nötigen Abständen ging das Spontan-Konzert im September letzten Jahres als Geschenk an ein beglücktes Publikum über die luftige Bühne. Musik und soziales Engagement – für Peter Paulitsch gehört beides zusammen, und er hat da noch einiges vor.

    Dass sein Leben ein durch und durch musikalisches werden würde, das war dem in Graz geborenen Peter Paulitsch in einem naturwissenschaftlich orientierten und eher konservativen Elternhaus keinesfalls in die Wiege gelegt. Und so folgte der musikalisch ambitionierte Abiturient zunächst dem Wunsch seiner Eltern und studierte im Frankfurt der 68er Studentenbewegung – „was damals völlig an mir vorbei ging“ – Physik. Das Staatsexamen habe er sogar mit einer Eins abgeschlossen, doch gleichzeitig habe er gespürt, „dass Schaltungen, Berechnungen, Elektronik und Thermodynamik nicht mein Leben sind“. Musik sollte es sein, für seine Mutter eine „brotlose Kunst“ – „und dennoch hat sie schützend ihre Hände über ihren ältesten Sohn gehalten“, erinnert sich Paulitsch dankbar. Von Frankfurt wechselte er ins allzu beschauliche Freiburg, von dort schon bald ins sehr viel offenere und inspirierendere Hamburg. Musikalisch habe er dort von Anfang der 1970er bis Mitte der 80er Jahre seine musikalischen Highlights erlebt. „In Hamburg hatte ich ein richtig schönes, buntes Musikerleben, weil ich dort all die Ideen, die ich von diesem Beruf hatte, ausleben konnte.“ Er leitete unter anderem das Landesjugendorchester Hamburg, Konzerte der Hamburger Symphoniker sowie Universitäts- und Hochschulorchester, komponierte, arrangierte, spielte in Jazzbands – und wusste trotz zahlreicher Engagements manchmal doch nicht, wovon er Frau und Tochter ernähren sollte. Als der Stress gerade mal wieder größer gewesen sei als der Spaß, habe ihn ein Freund auf die Leitungsstelle bei der Kreismusikschule Rotenburg aufmerksam gemacht. Rotenburg? Nie gehört…beworben habe er sich dann aber doch. Mit Erfolg. Von 1977 bis 2004 leitete er die Einrichtung, eine freiwillige Aufgabe des Landkreises, nach der Gebietsreform gehörte plötzlich auch noch der Altkreis Bremervörde zu seinem Tätigkeitsbereich, doch auf die Arbeit inklusive notwendige Verwaltungstätigkeit blickt er immer noch gern zurück. Und auch anderthalb Jahrzehnte danach fühle er sich der KMS immer noch stark verbunden und lobt besonders die Bemühungen seiner Nachfolger, die Musikschule stärker mit Kindertagesstätten und Schulen zu vernetzen.

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    Zwischendurch gab es allerdings auch immer wieder musikalische Abwechslung nicht nur bei der Zusammenarbeit mit dem Experimentalfilmer Wittwulf Malik in jüngerer Vergangenheit, sondern über die Jahre vor allem in Form von Auslandsreisen auf Einladung des Goetheinstituts oder des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Ziele für Paulitsch als Dirigent unterschiedlicher Orchester waren unter anderem Guatemala, Mexiko, Honduras, Nicaragua, Ägypten, Israel und der Gazastreifen. Dort habe sich nicht nur sein musikalischer, sondern vor allem auch sein politischer Horizont erweitert, stellt er im Rückblick fest. „Wenn man abends aus einem Konzertsaal in Guatemala kommt und dann ein paar Gassen weiter kleine Kinder sieht, die in Pappkartons übernachten“, da sei ihm klar geworden, dass es nicht reichte „im Elfenbeinturm klassische Musik für Menschen in Frack und Pelzmantel“ zu machen. Heute sieht Paulitsch seine politische Heimat links und bei den Grünen und erinnert sich gern an prägende Begegnungen in den 1990er Jahren. Etwa die mit dem Schauspieler, Entertainer, aber eben auch politischen Aktivisten Dietmar Schönherr, in dessen nicaraguanischen Kulturprojekt „Casa de los Tres Mundos“ (gemeinsam mit dem Priester und Dichter Ernesto Cardenal, in dem aber auch der Bremer Henning Scherf aktiv war) oder an die Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Will Quadflieg bei einem literarisch-musikalischen Friedensprojekt. Paulitsch engagiert sich seit Jahren bei der Menschenrechtsorganisation amnesty international, finanziert dort und auch bei World Vision seit langem drei Patenkinder in Indien, Nicaragua und Mauretanien. Er gibt über die Jahre diverse Benefizkonzerte für Flüchtlinge, für Schulprojekte in Afrika, für die Rotenburger Hospizarbeit ebenso wie gegen Fracking – und spendet dafür immer wieder seine Gage. Und hatte gehofft, dies auch 2021 wieder tun zu können, vielleicht dann schon ohne Corona – oder notfalls mit entsprechenden Hygienekonzepten. Corona aber zog sich und zieht sich immer noch. Planungen mussten seit Jahresbeginn wiederholt über den Haufen geworfen werden, aber nun gibt es immerhin für den Herbst sehr konkrete Überlegungen – auch unter dem Eindruck eines zunehmenden Rechtsrucks oder dem Attentat von Hanau – für ein Konzert mit jüdischen Komponisten oder für ein Multi-Kulti-Konzert mit Musik und Musikern aus Israel, Syrien, aus Italien, Deutschland und Argentinien. Schon bei seinem Balkonkonzert im September habe er ein Stück gespielt, das er von einer syrischen Familie bekommen habe, freut sich der Musiker über solche menschlich-musikalischen Begegnungen. Man merkt, Peter Paulitsch hat sich im Laufe seines Lebens meilenweit von der politischen Indifferenz seiner Studentenzeit entfernt. Beinahe mit jedem Akkord verbindet er ein politisches Statement, das deutlich macht: Peter Paulitsch – 75 und kein bisschen leise!

    Fotos: Mark Intelmann

    Sigi Deismann
    Sigi Deismann
    Geboren in Celle, studierte in Hannover Germanistik, Sozialwissenschaften und Psychologie, bevor er fast drei Jahrzehnte als Redakteur des Weser-Kurier in der Lilienthaler Regionalredaktion arbeitete.
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