Spielraum ohne Ende

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    Drübberholz. In den 60er Jahren fiel das traditionsreiche Gasthaus in einen Dornröschenschlaf – der Bau der A 27 hatte die Verkehrsströme samt Laufkundschaft erfolgreich umgelenkt. 1983 wurde Drübberholz dann von vier jungen Leuten aus Bremen wiederentdeckt. Diverse Zimmer und Säle, ein großer Garten mit angrenzendem Wäldchen, die Weser in Sichtweite und jede Menge Raum zur freien Entfaltung: Die Bremer hielten den Ort wie geschaffen für die freie Erwachsenenbildung. Das Konzept dafür hatten sie bereits in der Tasche. Bernward Nüttgens, Diplomökonom aus Berlin, damals Anfang 30, stieg 1985 in das Projekt ein, seine Frau Astrid Andrzejewski wiederum zwei Jahre später. Und während die Bremer Gründer sich nach und nach neu orientierten, blieb das Paar aus Berlin der Idee treu. „Was mich gereizt hat, war die Verbindung von Bildungsarbeit und Betrieb“, sagt Nüttgens. „Das Großstadtleben habe ich nicht vermisst. Es kommen ja genug Leute hierher.“
     
    Und wer alles kommt: Jugendverbände und Pfadfinder, feiernde Erstsemester und Familien auf pädagogischer Freizeit, das Deutsch-Französische Jugendwerk und der Deutsche Go-Bund auf Fortbildung. Richtig gelesen: der Go-Bund, Fachverband für das gleichnamige asiatische Brettspiel. 7.000 bis 8.000 Menschen beziehen jedes Jahr Quartier im „Tagungshaus Drübberholz“, dem Beherbergungsbetrieb. Motto: freie Entfaltung statt luxuriöser Ausstattung.

     

    Foto: Arne von Brill

    Und dann sind da noch die Gäste des „Spielezentrums Niedersachsen“, dem gemeinnützigen Part der Einrichtung. Ein Trägerverein, der Drübberholz e.V., konzeptioniert und organisiert diverse Kurse, Seminare und Veranstaltungen im Bereich der Jugend- und Erwachsenenbildung: vom Tanzabend bis zum Einradfahren, von der Erlebnispädagogik bis zum Kettensägenkurs, vom Bildungsurlaub bis zum Spieletreff.

    Die Drübberholz‘sche Spiele-Sammlung: eine Geschichte für sich. Mehr als 8.500 verschiedene Brett- und Kartenspiele gibt es im Haus. Sie füllen ganze Wände in diversen Räumen, ordentlich in Schränken und Regalen verstaut. Kinderspiele, alte Spiele, große und kleine Verlage, Klassiker und Neuheiten. Das Team hat eine Vorstellung, wo welche Schätze lagern, trotzdem gerät das bisherige Ordnungssystem an seine Grenzen. „Am Thema Digitalisierung arbeiten wir gerade“, sagt Vorstandmitglied Rainer Andrzejewski. Der 28-Jährige begeistert sich auch privat für den analogen Zeitvertreib rund um Strategie, Glück oder Geschicklichkeit. „Die Gestaltung wird immer aufwändiger, die Ideen immer größer“, sagt er. „Auch im Freundeskreis erreichen wir mit neuen Spielen immer mehr Menschen.“ Menschen wie Tagungshaus-Angestellte Janina Habenicht, 29 Jahre, die sich in wenigen Jahren von einer Nicht-Spielerin zum Fan entwickelt hat. „Für mich besteht der Reiz darin, mit jedem Brettspiel in eine andere Welt einzutauchen.“ Ein durchaus zeitintensives Vergnügen, gibt sie zu: „Bis man die komplette Anleitung gelesen und alles ausprobiert hat, vergehen schnell mal fünf bis acht Stunden.“ Von diesem Wissensvorsprung profitieren dann Tagungshaus-Gäste, wenn sie sich Spielideen vorstellen und erklären lassen.

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    Dass die Sammlung immer noch weiter wächst, wenn auch nicht mehr so rasant wie vor Jahren, liegt an Bernward Nüttgens Nebentätigkeit: Seit 1988 verfasst der 66-Jährige Brettspiel-Besprechungen, solange steht er bereits auf der Rezensenten-Liste der Verlage. Seine Kolumnen erscheinen regelmäßig in verschiedenen Lokalzeitungen im Landkreis Verden. „Was wir hier machen, ist deutschlandweit einzigartig“, sagt Nüttgens. Und so ist das kleine Drübberholz zum Fixpunkt einer ganzen Szene geworden, mit einer Reihe von Traditionsveranstaltungen, die Nüttgens mit „großen Familientreffen“ vergleicht. Beispiel: die Vorentscheide zur Deutschen Brettspiel-Meisterschaft, die seit 1991 im „Spielezentrum Niedersachsen“ stattfinden. 16 Ausrichter gibt es bundesweit. Nach Dörverden reisen Teilnehmer-Teams aus Meppen, Bremen, Gütersloh und Lübeck an – nicht zuletzt wegen des kulinarischen Begleitprogramms: das große Grünkohlessen. Normalerweise, sollte man hinzufügen. Wieviele solcher Aktivitäten pandemiebedingt im laufenden Jahr möglich sind, und unter welchen Bedingungen, „steht natürlich in den Sternen“, so Nüttgens. Gleiches gilt für den Beherbergungsbetrieb. „Theoretisch waren wir für 2021 schon im vergangenen Jahr ausgebucht.“ Es gäbe noch viel zu erzählen über Drübberholz und sein erlebnispädagogisches Angebot: über Klangstäbe, Baumtelefon und Riechbeete, Baumlehrpfad und Wildnispädagogik. Über die Theaterbühne samt Verkleidungsfundus oder das Nachhaltigkeitskonzept, das vom eigenen Blockheizkraftwerk bis zur Schilfkläranlage reicht. Nachhaltig ist auch Nüttgens Vertrauen in die Zukunft: „Drübberholz wird Corona überleben. Ich bin da ganz optimistisch.“

    Foto: Arne von Brill
    Annette Freudling
    Annette Freudlinghttps://www.annette-freudling.de
    Studierte Kulturwissenschaften, Anglistik und Germanistik in Bremen. Lokaljournalistin, Redakteurin und Autorin. Privat verortet zwischen Kammerchor, Katzenhaar und Kneipenquiz. Geschichten mag sie am liebsten ohne Bart. Ansonsten findet sie Bärte aber ganz okay.
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